Vorlesungsskript: Grundlagen des Entscheidens I

Eckhart Arnold

1 Vorwort
2 Techniken des Entscheidens
3 Zur Theorie der Kollektiven Entscheidungen
4 Wahrscheinlichkeitsrechnung
    4.1 Wahrscheinlichkeiten I: Rechentechniken
    4.2 Wahrscheinlichkeiten II: Interpretationsfragen nicht klausurrelevant!)
        4.2.1 Objektive Wahrscheinlichkeit
            4.2.1.1 Klassische Wahrscheinlichkeit
            4.2.1.2 Häufigkeitstheorie
                1. Erläuterung.
                2. Nachweis der Erfüllung der Kolmogorowschen Axiome.
                3. Einwände und Diskussion
            4.2.1.3 Ein Wort zu Propensitäten
        4.2.2 Subjektive Wahrscheinlichkeiten
        4.2.3 Aufgaben
5 Neumann-Morgensternsche Nutzentheorie
6 Spieltheorie
7 Kritische Reflexion
8 Beispielklausur
Literaturverzeichnis

3. Einwände und Diskussion

Welche Einwände gibt es gegen die Häufigkeitstheorie? Die Häufigkeitstheorie ist wie alle Wahrscheinlichkeitstheorien, die „unterhalb“ der Kolmogorwschen Axiome ansetzen, keineswegs unumstritten. Manche Autoren lehnen sie sogar grundsätzlich ab (Bosch 1976). Welche Argumente könnte man dafür anführen?

Denjenigen, die sich bereits etwas mit der Statistik auskennen, düfte vielleicht schon aufgefallen sein, dass das Konvergenzaxiom in einem eigentümlichen Gegensatz zu dem sogenannten „Gesetz der großen Zahlen“ steht. Das Gesetz der großen Zahlen besagt sinngemäß, dass wenn irgendein Merkmal eine bestimmte Wahrscheinlichkeit hat, dass dann die Wahrscheinlichkeit, dass die relative Häufigkeit vom Wahrscheinlichkeitswert abweicht, gegen 0 geht. Das Konvergenzaxiom fordert aber, dass die relative Häufigkeit gegen geht. Widerspricht das nicht dem Gesetz der großen Zahlen, da es nach dem Gesetz der großen Zahlen doch Fälle geben kann, in denen der Häufigkeitsgrenzwert nicht erreicht wird? Die Antwort ist Folgende: Die Häufigkeitstheorie definiert einen engeren Wahrscheinlichkeitsbegriff als das Gesetz der großen Zahlen. Jede Wahrscheinlichkeit im Sinne der Häufigkeitstheorie erfüllt selbstverständlich das Gesetz der großen Zahlen, aber nicht umgekehrt. (Das Gesetz der großen Zahlen könnte im Rahmen der Häufigkeitstheorie sogar überflüssig erscheinen, da mit dem Konvergenzaxiom ja bereits ein „strengeres“ Gesetz existiert.) Anders als das Konvergenzaxiom taugt das Gesetz der großen Zahlen nicht, wie die naive statistische Theorie manchmal annimt, zur Definition des Wahrscheinlichkeitsbegriffs, da das Definiendum dann im Definiens auftreten würde, womit die Definition zirkulär wäre (Schurz 2006, S. 113). Der Einwand verweist aber darauf, dass der Wahrscheinlichkeitsbegriff der Häufigkeitstheorie nicht als erschöpfend angesehen werden kann. Die Häufigkeitstheorie kann aus diesem Grund unnötig restriktiv erscheinen.

Andere Einwände gegen die Häufigkeitstheorie sind eher empirischer Natur, etwa dergestalt, dass es ohnehin keine beliebig großen Folgen völlig gleichartiger Ereignisse gäbe (etwa: „Jeder Würfel nützt sich irgendwann ab! Zwei unterschiedliche Münzen sind niemals ganz gleich!“ etc.) und schon gar keine unendlich großen. Die entscheidende Frage besteht darin, ob man bereit ist, die Axiome der Häufigkeitstheorie als idealisierende Abstraktion eines empirischen Sachverhalts bzw. einer Vielzahl empirischer Sachverhalte (nämlich, dass wir die Wahrscheinlichkeiten statistischer Vorgänge mit zunehmend größeren Stichproben zunehmend zuverlässig messen können) zu akzeptieren. Anlässlich der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten statistischer Methoden enthält die Häufigkeitstheorie in empirischer Hinsicht weit weniger starke Zumutungen als die im Folgenden zu besprechende Theorie der subjektiven Wahrscheinlichkeiten.

t g+ f @