Vorlesungsskript: Grundlagen des Entscheidens I

Eckhart Arnold

1 Vorwort
2 Techniken des Entscheidens
3 Zur Theorie der Kollektiven Entscheidungen
4 Wahrscheinlichkeitsrechnung
    4.1 Wahrscheinlichkeiten I: Rechentechniken
    4.2 Wahrscheinlichkeiten II: Interpretationsfragen nicht klausurrelevant!)
        4.2.1 Objektive Wahrscheinlichkeit
            4.2.1.1 Klassische Wahrscheinlichkeit
            4.2.1.2 Häufigkeitstheorie
                1. Erläuterung.
                2. Nachweis der Erfüllung der Kolmogorowschen Axiome.
                3. Einwände und Diskussion
            4.2.1.3 Ein Wort zu Propensitäten
        4.2.2 Subjektive Wahrscheinlichkeiten
        4.2.3 Aufgaben
5 Neumann-Morgensternsche Nutzentheorie
6 Spieltheorie
7 Kritische Reflexion
8 Beispielklausur
Literaturverzeichnis

1. Erläuterung.

Zunächst zur Erläuterung dieser Axiome. Das erste Axiom verlangt, dass in jedem Kollektiv der Grenzwert der relativen Häufigkeit jeden darin vorkommenden Merkmals existiert. Kann man dergleichen überhaupt per Axiom fordern? Was ist mit Folgen (weiter unten werden wir eine kennen lernen), bei denen dies nicht der Fall ist? Die Antwort ist: Da die Axiome implizite Definitionen der darin vorkommenden Begriffe sind, sind Merkmalsfolgen, bei denen für mindestens ein Merkmal der Grenzwert der relativen Häufigkeit nicht definiert ist, keine Kollektive im Sinne der Haufigkeitstheorie. Für solche Folgen sind dementsprechend auch keine Wahrscheinlichkeiten im Sinne der Häufigkeitstheorie definiert.

Das zweite Axiom fordert, dass auch jede zufällig(!) ausgewählte Teilfolge für alle Merkmale denselben Grenzwert der relativen Häufigkeit aufweist. Das zweite Axiom ist deshalb notwendig, weil nur so sichergestellt ist, dass sich Stichproben aus dem Kollektiv im Sinne des Gesetzes der Stabilität der statistischen Häufigkeiten auf Lange Sicht auf denselben Grenzwert stabilisieren. Natürlich kann ein Axiom niemals sicherstellen, dass das empirisch tatsächlich der Fall ist, aber wenn man schon annimmt, dass das Gesetzes der Stabilität der statistischen Häufigkeiten empirisch gilt, dann muss man es im Rahmen einer axiomatischen Theorie, die empirisch angewendet werden soll, in irgendeiner Form erfassen, entweder als Axiom oder als abgeleitetes Theorem.

Die Schwierigkeit von Axiom 2, die den Erfindern der Häufigkeitstheorie über viele Jahre Kopfzerbrechen bereitet hat (Gillies 2000, S. 105ff.), liegt in dem Ausdruck zufällig verborgen. Man kann sich leicht überlegen, dass, wenn die Auswahl der Teilfolge nicht zufällig getroffen wird, die Wahrscheinlichkeit im Sinne der Häufigkeitstheorie nur noch für triviale Kollektionen definiert wäre, in denen die Wahrscheinlichkeit jedes Merkmals entweder 0 oder 1 ist. Denn wenn die nach Axiom 1 definierte Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Merkmals A (oder präziser einer Menge von Merkmalen A) in einem Kollektiv nicht 1 ist, dann müsste man nur diejenige Teilfolge auswählen, die aus genau den Folgegliedern des Kollektivs besteht, bei denen das Merkmal auftritt (). In dem Teilkollektiv beträgt der Grenzwert der relativen Häufigkeit des Merkmals dann 1.

Die mathematisch genaue Definition von Zufälligkeit in diesem Zusammenhang erfordert etwas mehr Hintergrundwissen in der Mathematik und Informatik als an dieser Stelle vermittelt werden kann. In Kürze nur soviel: Zufällig im Sinne des Axioms ist eine Auswahl, wenn sie durch eine rekursive Funktion im Sinne von Alonso Church beschrieben werden kann. Eine rekursive Funktion ist eine Abildung der natürlichen Zahlen auf die natürlichen Zahlen, deren Funktionswerte in endlich vielen Rechenschritten ermittelt werden können. Es lässt sich zeigen, dass dann noch überabzählbar und damit sicherlich hinreichend viele nicht-triviale Kollektive beide Axiome erfüllen. Näheres dazu bei Donald Gillies (Gillies 2000, S. 108).

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