Vorlesungsskript: Grundlagen des Entscheidens I |
Inhalt |
Dass mit den beiden Axiomen der Häufigkeitstheorie eine Wahrscheinlichkeit im Sinne Kolmogorows definiert ist lässt sich leicht nachweisen:
Etwas aufwendiger ist wieder die Behandlung der bedingten Wahrscheinlichkeiten. Zunächst muss die bedingte Wahrscheinlichkeit in Bezug auf den Häufigkeitsbegriff der Wahrscheinlichkeit erklärt werden. Da die Häufigkeitstheorie die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Merkmals immer schon bedingt auf ein Kollektiv versteht (), stellt sich die Frage, wie die Wahrscheinlichkeit eines Merkmals unter der Bedingung, dass ein anderes Merkmal aufgetreten ist, zu verstehen ist. Dies ist aber leicht möglich: Wir schreiben für einfach , wobei unter diejenige Teilfolge von zu verstehen ist, die durch die Auswahl derjenigen Folgeglieder von zustande kommt, bei denen das Merkmal (bzw. die Merkmalsmenge) B auftritt. (Sollte B nur endlich oft in auftauchen, also gar keine echte Teilfolge bilden können, dann gilt und wir setzen . Im folgenden nehmen wir weiterhin an.[57] ) Nun muss allerdings noch gezeigt werden, dass auch ein Kollektiv ist, d.h. das ebenfalls das Axiome der Konvergenz und das Axiom der Zufälligkeit erfüllt.
Dass ebenfalls ein Kollektiv ist, kann bewiesen werden,[58] indem man zeigt, dass für jedes beliebige Merkmal (bzw. jede beliebige Merkmalsmenge ) der Grenzwert der relativen Häufigkeit von in existiert. Dass ist aber der Fall, denn:
Nach der Rechnung oben und der Definition der Wahrscheinlichkeit als
Grenzwert der relativen Häufigkeiten, gilt nun:
was genau der Definition der bedingten Wahrscheinlichkeit für Kolmogorowsche
Wahrscheinlichkeiten entspricht. (Beweis nach D. Gillies (Gillies 2000, S. 111/112).)
Zu zeigen bleibt noch, dass bedingte Wahrscheinlichkeiten nach der Häufigkeitstheorie auch das zweite Axiom, das der Zufälligkeit, erfüllen. Es muss also gezeigt werden, dass der Grenzwert der relativen Häufigkeit jedes bliebigen Merkmals in der Folge der gleiche ist wie in der zufällig ausgewählten Teilfolge . Da wir den Begriff der zufälligen Auswahl im Rahmen dieser Vorlesung nicht mathematisch präzise eingeführt haben, kann der Beweis hier nur angedeutet werden:
Sei ein zufällig
ausgewähltes Teilkollektiv von .
Dann kann man mit Hilfe dieser Zufallswauswahl eine Zufallsauswahl
des Kollektivs
bilden, die sich bei allen Folgegliedern von ,
die in der Teilfolge
auftauchen, mit der Auswahl
deckt. Ist das aber der Fall, dann entspricht die Zufallsauswahl
der Auswahl . Aus dem
ersten Teil des Beweises wissen wir, dass
und ebenfalls Kollektive
sind. Auf Grund des Axioms der Zufälligkeit wissen wir, dass der Grenzwert:
für
und für ein- und derselbe
ist. Dass heisst aber auch, dass für jedes beliebige
der Grenzwert
ein- und derselbe ist, ganz gleich welches der beiden Kollektive
und man zugrunde legt. Damit
ist aber gezeigt, dass die bedingte häufigkeitstheoretische Wahrscheinlichkeit
ein- und dieselbe bleibt, unabhängig davon, welches Teilkollektiv man
auswählt - ganz so, wie es das Axiom der Zufälligkeit fordert. (Vgl.
(Gillies 2000, S. 112))
Die Häufigkeitstheorie erfüllt also die Axiome Kolmogorows und definiert damit, wie man sagen könnte, mathematisch korrekte Wahrscheinlichkeiten. Wenn es nur darum gegangen wäre, die Kolmogorowschen Axiome zu erfüllen, so hätte das erste Axiom der Häufigkeitstheorie (Konvergenzaxiom) bereits ausgereicht. Das zweite Axiom ist für die Erfüllung der kolmogorowschen Axiome nicht notwendig. Es bildet aus anderen Gründen einen wesentlichen Bestandteil der Häufigkeitstheorie. Das zweite Axiom bildet das Gesetz der Stabilität der statistischen Häufigkeiten auf die mathematische Häufigkeitstheorie ab, und stellt daher die für eine anwendungstaugliche Theorie notwendige Beziehung zur Empirie her. Ohne das Axiom der Zufälligkeit würde es Wahrscheinlichkeiten im häufigkeitstheoretischen Sinne geben können, für die man sich nicht auf das Gesetz der Stabilität der statistischen Häufigkeiten verlassen kann.
[57] Aus Gründen der Einfachheit wird hier auf die Behandlung dieses Sonderfalls verzichtet. Andernfalls müsste diese Möglichkeit im folgenden Beweis mit Hilfe einer Fallunterscheidung berücksichtigt werden!
[58] Da nicht unbedingt eine zufällige Auswahl aus C darstellt, kann man sich den Beweis nicht durch Anwendung des Axioms der Zufälligkeit ersparen!
[59] Anmerkung zur Nomenklatur: In streng mengentheoretischer Schreibweise müsste man schreiben. Bezieht man die Wahrscheinlichkeiten, wie in der letzten Vorlesung auf die Richtigkeit von Aussagen, dann müsste man für die Aussage, dass das Merkmal A und das Merkmal B eingetreten sind entsprechend den Gepflogenheiten der formalen Logik schreiben.