Vorlesungsskript: Grundlagen des Entscheidens I |
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Das Prinzip der Diktaturfreiheit ist wohl das einzige, an dem man ohne wenn und aber festhalten wird, wenn man die Theorie auf die Politik übertragen will. Denn wenn man schon die Diktatur zulässt, benötigt man auch keine Theorie der Abstimmung mehr. Es ist ja zuallererst das Problem, ein Abstimmungs- bzw. Kollektiventscheidungsverfahren zu finden, dass möglichst Vielen möglichst gerecht wird, welches die Entwicklung dieser Theorie motiviert. Wenn man nun das Prinzip der Diktaturfreiheit aufgibt, bräuchte man auch die Theorie nicht mehr.[43] Zudem ist das Prinzip der Diktaturfreiheit so defensiv gefasst, dass man sich anders als bei den anderen Prinzipien kaum noch Abschwächungen vorstellen kann.
Wie man sieht, hält abgesehen von der Diktaturfreiheit nur das Prinzip des unbeschränkten Bereichts, wenn man es nicht zu weit auslegt, den möglichen Einwänden stand. Bei allen anderen Prinzipen kann man zwar zugestehen, dass sie berechtigte Anliegen artikulieren, dabei aber oft enger sind, als dies notwendig erscheint, und zugleich andere, ebenso berechtigte Anliegen, ausschließen (wie z.B. die Berücksichtung der gesammten Rangordnung und nicht nur des paarweisen Verhältnisses von Gütern nach den gegebenen Präferenzen). Anstatt sich die Bedingungen Arrows also als notwendige Voraussetzungen vorzustellen, die jedes akzeptable Kollektiventscheidungsverfahren mindestens erfüllen muss, sollte man sie lieber als wünschenswerte Voraussetzungen betrachten, von denen der Satz von Arrow zeigt, dass sie nicht alle gleichzeitig erfüllbar sind, so dass man Abwägungen treffen und eventuell Abstriche machen muss. Es kann aber nicht ernsthaft die Rede davon sein, dass die Ergebnisse der Sozialwahltheorie - von denen nicht wenige übrigens zeigen, dass sich Arrows negatives Resultat schon bei geringfügiger Aufweichung seiner Voraussetzungen in ein positives Resultat verwandelt (Mueller 2003, S. 585ff.), wenn auch jeweils mit mehr oder weniger erwünschten Nebeneffekten wie z.B. zyklische kollektive Präferenzen - „den Bereich zulässiger Demokratiekonzeptionen ein[schränken]“ und „Diese Einschränkung .. apriorisch [ist]“ (Nida/Ruemelin 1991, S. 185).
[43] Unabhängig von der Sozialwahltheorie kann man aber immer noch die Frage diskutieren, ob in bestimmten Situationen diktatorische Entscheidungsverfahren nicht empfehlenswert sein können. Bekanntlich kannte die römische Republik die Institution einer Diktatur auf Zeit (1 Jahr), um bei besonderen Bedrohungen der politischen Ordnung die Fähigkeit zu raschen Entscheidungen sicher zu stellen.