Vorlesungsskript: Grundlagen des Entscheidens I |
Inhalt |
Um unter Risiko eine begründete Entscheidung treffen zu können, müssen wir den Nutzen unsicherer Ereignisse in irgendeiner Weise bewerten, so dass die Unsicherheit bzw. das Risiko bei der Bewertung mit einbezogen wird. Dieser Nutzenwert, in den die Unsicherheit schon mit eingerechnet ist, wird der Erwartungsnutzen genannt. Da im Erwartungsnutzen der Nutzen eines Ereignisses mit dem Wert des Ereignisses, wenn es eintritt, verrechnet wird, setzt die Bestimmung des Erwartungsnutzen immer ein kardinales Nutzenkonzept voraus.
Das zentrale Gesetz des Erwartungsnutzens ist die sogenannte Erwartungsnutzenhypothese. Sie besagt, dass der Erwartungsnutzen eines unsicheren Ereignisses gleich dem erwarteten Nutzen multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit des Eintretens des Ereignisses ist. Unter dem „Erwartungsnutzen“ ist dabei der Nutzen des noch unsicheren Ereignisses zu verstehen. Während mit dem „erwarteten Nutzen“ der Nutzen des Ereignisses (für einen bestimmten Akteur) gemeint ist, wenn dass Ereignis eingetreten ist. „Erwartungsnutzen“ und „erwarteter Nutzen“ dürfen also nicht verwechselt werden! Der Zusammenhang kann also mathematisch folgendermaßen formuliert werden:
EU | Erwartungsnutzen eines bestimmten Ereignisses | |
p | Wahrscheinlichkeit des Eintretens dieses Ereignisses | |
U | Nutzen des eingetretenen Ereignisses ( | bdquo;erwarteter Nutzen“) |
Wird der Zusammenhang so wie in der Gleichung oben ausgedrückt, dann wird dabei stillschweigend vorausgesetzt, dass der erwartete Nutzen, wenn das Ereignis nicht eintritt, Null beträgt. In etwas präziserer und allgemeinerer Form müsste man den Zusammenhang so darstellen:
Sei eine Partition von Ereignissen, d.h. eine Menge von Ereignissen, die sich wechselseitig ausschließen, von denen eins aber eintreten muss. Seien weiterhin die Wahrscheinlichkeiten, mit denen diese Ereignisse eintreten können: und ihre erwarteten Nutzenwerte . Dann berechnet sich der Erwartungsnutzen nach:
Die Berechnung des Erwartungsnutzens hat aber offensichtlich nur dann
Sinn, wenn wir eine kardinale Nutzenfunktion (siehe Kapitel
2.3.2) voraussetzen
dürfen, da der so berechnete Erwartungsnutzuen nicht bei jeder positiven
Transformation der gewählten Nutzenfunktion derselbe bleibt. Sie ist
aber insbesondere dann unproblematisch, wenn es sich bei dem Nutzen
um Geldwerte handelt. Dass unter der Voraussetzung kardinaler Nutzenwerte
die Verwendung des Erwartungsnutzens zur Bewertung unterschiedlicher
Handlungsalternativen unbedenklich ist, ergibt sich daraus, dass der
Erwartungsnutzen von positiv linear transformierten Nutzenwerten gleich
dem positiv linear transformierten Erwartungsnutzen der Nutzenwerte
ist. Mathematisch gesprochen: Seien
und zwei äquivalente kardinale Nutzenskalen,
d.h. es gelte: mit .
Dann gilt:
Hinweis: Da (es handelt sich um eine Partition von Ereignissen, d.h. die Ereignisse schließen sich wechselseitig aus und ein Ereignis tritt auf jeden Fall ein), durften wir im vorletzten Schritt verwenden.
Bewertet man den Wert unterschiedlicher Handlungsalternativen einer Entscheidung unter Risiko (d.i. einer Entscheidung, bei der die Eintrittswahrscheinlichkeiten der möglichen Zufallsereignisse bekannt sind) mit Hilfe des Erwartungsnutzens, so ist damit sichergestellt, dass die Rangfolge der Alternativen dieselbe bleibt, wenn wir unsere Nutzenfunktion durch eine äquivalente kardinale Nutzenfunktion ersetzen.
Aus dem Erwartungsnutzen ergibt sich eine sehr einfache Entscheidungsregel für Entscheidungen unter Risiko, sofern die erwarteten Werte mindestens auf einer kardinalen Nutzenskala eingetragen werden können, nämlich die Regel:
Entscheidungsregel für Entscheidungen unter Risiko: Wähle diejenige Entscheidung, bei der der Erwartungsnutzen am größten ist.
Dass diese Regel bei Entscheidungen unter Risiko tatsächlich die beste ist, werden wir gleich noch ausführlicher begründen. Wenn sie aber die beste ist, dann ergibt sich für Unterscheidungen unter Risiko, dass wir nicht - wie bei Entscheidungen unter Unwissenheit - mit dem Problem zu kämpfen haben, dass es eine Reihe unterschiedlicher Entscheidungsregeln gibt, die alle sinnvoll begründet werden können, die aber unter Umständen unterschiedliche Ergebnisse liefern. (Inwiefern dies ein ernstzunehmendes Problem ist, sei dahin gestellt. Man könnte es auch so interpretieren, dass es bei Entscheidungen unter Unwissenheit eben keine generell beste Entscheidungsregel gibt, sondern nur situationsspezifisch mehr oder weniger angemessene Entscheidungsregeln - wobei einmal angenommen sei, dass die Auswahl der richtigen Entscheidungsregel unter Berücksichtigung der näheren situtationsspezifischen Bedingungen und Umstände leichter fällt.)