Vorlesungsskript: Grundlagen des Entscheidens I

Eckhart Arnold

1 Vorwort
2 Techniken des Entscheidens
    2.1 Entscheidungstabellen und -bäume
    2.2 Entscheidungen unter Unwissenheit I
    2.3 Entscheidungen unter Unwissenheit II
    2.4 Entscheidungen unter Risiko
        2.4.1 Die Berechnung des Erwartungsnutzens
            2.4.1.1 Beispiele
        2.4.2 Die Rechtfertigung des Erwartungsnutzens
        2.4.3 Kausale Entscheidungstheorie
        2.4.4 Entscheidungsregeln in der Philosophie: Die Debatte zwischen John Rawls und John C. Harsanyi
        2.4.5 Aufgaben
3 Zur Theorie der Kollektiven Entscheidungen
4 Wahrscheinlichkeitsrechnung
5 Neumann-Morgensternsche Nutzentheorie
6 Spieltheorie
7 Kritische Reflexion
8 Beispielklausur
Literaturverzeichnis

2.4.1.1 Beispiele

Wie kann man mit Hilfe dieser Entscheidungsregel Entscheidungen unter Risiko treffen? Dazu ein Beispiel. Eine Computerfirma hat erfahren, dass die Konkurrenz dabei ist, eine neue Art von sehr preiswerten Kleinstlaptops zu entwickeln. Sie steht nun vor der Wahl, ob sie ebenfalls in die Entwicklung derartiger Laptops investieren soll. Es steht nicht fest, ob diese Art Laptops vom Markt akzeptiert wird. Auch hängt der zu erwartende Gewinn davon ab, ob es der Konkurrenz gelingt, noch in diesem Jahr ihr Produkt auf den Markt zu werfen, in welchem Fall man die Eigenentwicklung zu einem deutlich niedrigeren Preis mit entsprechend reduzierten Gewinnerwartungen anbieten müsste. Andererseits ist zu erwarten, dass eine erfolgreiche Konkurrenz durch Kleinstlaptops die Firma auch Marktanteile in ihren Kernbereichen kosten könnte. Daraus ergibt sich folgendes Entscheidungsproblem:

() () ()
-100.000 € -50.000 € 60.000
0 € -80.000 € 0
: Investiere in die rasche Entwicklung eines Kleinstlaptops.
: Investiere nicht in die Entwicklung eines Kleinstlaptops.
: Kleinstlaptops bleiben auf dem Markt erfolglos.
: Kleinstlaptops sind erfolgreich, aber die Konkurrenz ist ebenfalls frühzeitig auf dem Markt präsent.
: Kleinstlaptops sind erfolgreich, aber die Entwicklung der Konkurrenz verzögert sich.

Der Erwartungsnutzen der jeweiligen Handlungen wurde dabei folgendermaßen errechnet:


Wie man an dem berechneten Erwartungsnutzen sieht, lohnt sich die Investition in die Entwicklung eines Kleinstlaptops, obwohl auch in diesem Fall ein Verlust zu erwarten ist. Es kann Entscheidungsprobleme geben, bei denen nicht nur die Nutzenwerte, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Ereignis eintritt, davon abhängt, welche Handlungsalternative man wählt. In diesem Fall müssen die Wahrscheinlichkeiten für die möglichen Ereignisse in jeder Zeile separat mit angegeben werden. Für die Berechnung des Erwartungsnutzens müssen dann natürlich die Wahrscheinlichkeiten der entsprechenden Zeile herangezogen werden. Ein Beispiel: Ein großes Softwareunternehmen möchte im Laufe der nächsten Monate ein kleines Softwareunternehmen aufkaufen. Es besteht die Möglichkeit, dass der Aktienkurs des Kleinunternehmens in den folgenden Monaten sinkt, steigt oder gleich bleibt, worüber die Experten des Großunternehmens relativ zuverlässige Schätzungen abgeben können. Das Großunternehmen kann seine Kaufabsicht vorher ankündigen oder auch nicht. Kündigt es die Kaufabsicht vorher an, so erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass der Aktienkurs und damit der Preis des Kleinunternehmens steigt. Zugleich führt dies aber dazu, dass das Kleinunternehmen, das bisher ein direkter Konkurrent des Großunternehmens ist, bis zum Verkauf kaum noch Lizenzen absetzen kann, woraus sich in diesem Fall ein fixer Gewinn für das Großunternehmen ergibt. Das Entscheidungsproblem sieht als Tabelle folgendermaßen aus (Die eingetragenen Werte repräsentieren dabei die Gesamtkosten, die sich aus dem zu erwartenden Kaufpreis minus dem fixen Gewinn aus zusätzlichen Lizenzverkäufen nach Wegfall einer effektiven Konkurrenz infolge der Ankündigung ergeben):

Kurs steigtKurs fälltbleibt gleichEU: 5 Mio € (p=0.1) 2 Mio € (p=0.6) 4 Mio € (p=0.3) 2.9 Mio €
: 4.5 Mio € (p=0.7) 1.5 Mio € (p=0.1) 3.5 Mio € (p=0.2) 4 Mio €
Kündige die Akquise nicht vorher an.
Kündige die Akquise vorher an.

Dies mal sieht die Berechnung des Erwartungsnutzens folgendermaßen aus:


Da es sich bei den eingetragenen Werten um Kosten handelt, sollte das Unternehmen tunlichst vermeiden, die Akquiseabsichten vorher anzukündigen.

Schließlich wollen wir noch an einem Beispiel betrachten, wie man den Erwartungsnutzen einsetzt, um Entscheidungsbäume aufzulösen. Eine Ölfirma erwägt an einer bestimmten Stelle in der Nordsee nach Öl zu bohren. Es ist nicht absolut sicher, ob sich an dem entsprechenden Ort tatsächlich Öl befindet. Um dies mit Sicherheit festzustellen, kann die Firma eine Probebohrung durchführen lassen. Der Bau einer Bohrinsel kostet € 1.000.000. Liefert die Bohrinsel tatsächlich Öl, so erwirtschaftet die Ölfirma mit dem geförderten Öl € 10.000.000. Die Durchführung einer Expertise mit Hilfe einer Probebohrung kostet € 250.000. Wir gehen der Einfachheit halber davon aus, dass die Probebohrung absolut zuverlässig darüber Auskunft gibt, ob Öl vorhanden ist. Weiterhin sei angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Öl vorhanden ist 40% beträgt. Um einen entsprechenden Entscheidungsbaum für Entscheidungen unter Risiko zu zeichnen, werden die Wahrscheinlichkeiten für Zufallsereignisse jeweils auf den entsprechenden Zweigen nach dem Ereignisknoten eingetragen. Der Entscheidungsbaum sieht dann folgendermaßen aus:


[image: Beispiel6_3A.png]

Wie kann man nun die Frage klären, ob es sich lohnt eine Expertise durchführen zu lassen oder nicht? Dazu muss man den Entscheidungsbaum von rechts nach links schrittweise nach folgenden Regeln auflösen:

  1. Ersetze jeden Ereignisknoten (der letzten Ebene) durch den Erwartungsnutzen des entsprechenden Ereignisses.
     
  2. Ersetze jeden Entscheidungsknoten (der letzten Ebene) durch den (Erwartungs-)Wert der besseren Alternative.
     
  3. Führe das Verfahren fort bis die gesuchte (Teil-)Entscheidung erreicht ist.

In unserem Fall ist die gesuchte Entscheidung die Anfangsentscheidung, ob eine Expertise durchgeführt werden soll. Wenn man den Baum nach dem entsprechenden Verfahren reduziert, dann sieht der Entscheidungsbaum nach dem ersten Schritt so aus:


[image: Beispiel6_3B.png]

Der Erwartungswert, den man erhält, wenn man die Bohrinsel baut, ohne eine Expertise durchzuführen beträgt € 3.000.000 (= € ). Dieser Erwartungswert wurde an die Stelle des entsprechenden Ereignisknotens gesetzt. Da im anderen Fall die Entscheidung zum Bau mit dem Ausgang der Expertise schon feststeht, wurden hier einfach die entsprechenden Werte übertragen. Da der Bau der Ölplattform auch ohne vorherige Probebohrung einen höheren Erwartungswert als 0 € liefert, muss für den letzten Schritt nur noch der Erwartungsnutzen berechnet werden, der sich ergibt, wenn man sich dazu entscheidet, die Expertise durchzuführen. Der nochmals reduzierte Entscheidungsbaum sieht dann so aus:


[image: Beispiel6_3C.png]

Es ist nun unmittelbar ersichtlich, dass es besser ist, vorher eine Expertise in Auftrag zu geben, da der daraus resultierende Erwartungswert der größere ist.

Bei all diesen Beispielen haben wir übrigens eine Frage offen gelassen, die in der praktischen Anwednung des Erwartungsnutzens von entscheidender Bedeutung sein kann, nämlich die Frage, woher wir die Wahrscheinlichkeiten kennen, und ob wir sicher sein können, dass die Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten der Ereignisse stimmen, wenn wir schon nicht sicher sein können, welches Ereignis eintritt. Im Einzelfall dürfte dies von der Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit wissenschaftlicher Theorien abhängen, die diese Wahrscheinlichkeiten für den entsprechenden Anwendungsbereich bestimmen.

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