Vorlesungsskript: Grundlagen des Entscheidens I

Eckhart Arnold

1 Vorwort
2 Techniken des Entscheidens
3 Zur Theorie der Kollektiven Entscheidungen
4 Wahrscheinlichkeitsrechnung
5 Neumann-Morgensternsche Nutzentheorie
6 Spieltheorie
    6.1 Spieltheorie I: Einführung
    6.2 Spieltheorie II: Vertiefung und Anwendung
        6.2.1 Nicht-Nullsummenspiele
            6.2.1.1 Koordinationsspiele
                Hirschjagdspiel als Koordinationsspiel
                Widerstreitende Ziele („Clash of Wills“)
            6.2.1.2 Nicht Koordinations-Spiele
        6.2.2 Wiederholte Spiele
        6.2.3 Evolutionäre Spieltheorie
        6.2.4 Ein Anwendungsbeispiel der Spieltheorie, das funktioniert: Vertrauen bei Internetauktionen
        6.2.5 Aufgaben
7 Kritische Reflexion
8 Beispielklausur
Literaturverzeichnis

Widerstreitende Ziele („Clash of Wills“)

Ein vergleichsweise schwächeres Koordinationsproblem stellt das Spiel der „Widerstreitenden Ziele“ dar (welches in der älteren Literatur auch oft unter dem Titel „Kampf der Geschlechter“ auftaucht). Hier ist die Geschichte zum Spiel: Fred und Clara wollen am Abend zusammen ausgehen. Sie telefonieren deswegen miteinander und überlegen, wo sie hingehen könnten. Freq möchte am liebsten die Oper besuchen. Clara dagegen findet die Oper ein wenig langweilig und würde es vorziehen, zu den Chippendales zu gehen. Allerdings würde sie immer noch lieber zusammen mit Fred in die Oper gehen anstatt alleine zu den Chippendales. Und umgekehrt würde auch Fred sich notfalls zu den Chippendales schleppen lassen, wenn er dadurch immerhin den Abend an Claras Seite verbringen darf. Bevor sie zu einer Einigung kommen ist leider der Akku von Freds Handy leer. Jeder von beiden überlegt für sich, wo er bzw. sie am Abend hingehen sollten, um den anderen zu treffen. Daraus ergibt sich die Spielmatrix:

Clara
OperChippendales
Oper 2, 1 0,0
FredChippendales -1,-1 1,2

Wie man leicht nachprüfen kann, gibt es in diesem Spiel zwei reine Nashgleichgewichte in den Strategiekombonationen und . Beide Nashgleichgewichte sind zudem paretoeffizient, während alle anderen reinen Strategiekombinationen paretoineffizient sind. Weiterhin existiert ein gemischtes Gleichgewicht, denn sei die Wahrscheinlichkeit, mit der Fred am Abend in der Oper erscheint, dann bestimmt sich Claras Erwartungsnutzen für jede ihrer reinen Strategien nach:


Wenn Claras Gleichgewichtsstrategie ebenfalls eine gemischte Strategie sein soll, dann muss sie zwischen ihren reinen Strategien indifferent sein, da sie andernfalls die bessere der reinen Strategien wählen würde. Dann kann man beide Werte gleichsetzen und erhält:


Freds gemischte Gleichgewichtsstrategie besteht also darin, mit einer Wahrscheinlichkeit von zur Oper zu gehen. Da das Spiel vollkommen symmetrisch ist, besteht Claras gemischte Gleichgewichtsstrategie darin, mit einer Wahrscheinlichkeit von die Chippendales zu besuchen. Der Nutzenwert für Fred und Clara im gemischten Gleichgewicht ist für beide . Das gemischte Gleichgewicht ist also nicht paretoeffizient, weil beide davon profitieren würden, zu einem der reinen Gleichgewichte überzugehen. Trotzdem handelt es sich um ein Gleichgewicht, da keiner von beiden einen positiven Anreiz hat, im Alleingang von der gemischten Strategie zu einer der reinen Strategien überzugehen oder eine andere gemischte Strategie, d.h. eine mit einem anderen Wahrscheinlichkeitswert, zu wählen.

Bedeutet das nun so etwas wie, dass es für Clara und Fred auf jeden Fall besser ist, eine ihrer reinen Strategien zu wählen, als den Zufall entscheiden zu lassen? Das Koordinationsproblem wird damit nicht aus der Welt geschafft, denn keiner von beiden weiss ja, für welche reine Strategie der andere sich entscheiden wird. Wenn Clara und Fred irgendwann einmal gelernt haben, dass man bei Unwissen gemäß dem Indifferenzprinzip davon ausgehen soll, dass alle Möglichkeiten gleichverteilt sind, dann würde das nur dazu führen, dass sie genau das Falsche tun, denn wenn man die Wahrscheinlichkeit, mit der der andere jede seiner Strategien wählen wird, mit 50% veranschlagt, dann wäre es für Clara das Beste zu den Chippendales zu gehen und für Fred, die Oper aufzusuchen. Wie man sich leicht überlegen kann, ist mit dem Wissen über das - ohnehin nicht einmal paretoeffiziente - gemischte Gleichgewicht in dieser Situation ebenfalls nichts anzufangen. Setzt Clara z.B. voraus, dass Fred entsprechend seiner gemischten Gleichgewichtsstrategie randomisiert, dann ist es für sie vollkommen gleich wohin sie geht, was das Koordinationsproblem auch nicht löst.

Es würde nichts dagegen sprechen, wenn Clara und Fred eine Münze werfen, um zu entscheiden, wohin sie gehen. Nur hilft es leider nicht, wenn jeder für sich eine Münze wirft. Sie müssten es schon beide gemeinsam tun. Da sie sich der Situationsbeschreibung nach aber aufe keine koordinierte Strategie mehr verständigen können, fällt diese Lösung aus.

Das Problem wäre womöglich weniger gravierend, wenn das Spiel nicht vollkommen symmetrisch wäre. Wenn z.B. der Nutzenwert von Fred für einen Opernbesuch deutlich höher wäre als der Nutzen, den Clara aus den Chippendales bezieht, und wenn dies beiden bekannt ist, und wenn beiden bekannt ist, dass es beiden bekannt ist, dann wäre es sicherlich für jeden von beiden naheliegend, vor der Oper zu erscheinen. Ist die Situation aber vollkommen symmetrisch, dann stellt sich das Koordinations-Problem als ein Problem des Symmetriebruchs dar.[77] Als Mechanismen zum Symmetriebruch wirken häufig gesellschaftliche oder individuelle Konventionen. Zum Beispiel könnten beide sich nach dem Prinzip „Lady's first“ jeweils dafür entscheiden, die Chippendales zu besuchen. Oder bisher hat sich Clara immer als die dominantere erwiesen, so das Fred und Clara beide davon ausgehen, dass sie sich - hätte das Telefongespräch länger gedauert - sowieso für die Chippendales entschieden.

[77] Die klassische Geschichte zum Problem des Symmetriebruchs ist die von „Buridans Esel“: Der Esel steht genau in der Mitte zwischen zwei gleich großen Heuhaufen, da er sich nicht entscheiden kann, welchen er fressen soll, verhungert der Esel.

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