Vorlesungsskript: Grundlagen des Entscheidens I

Eckhart Arnold

1 Vorwort
2 Techniken des Entscheidens
    2.1 Entscheidungstabellen und -bäume
    2.2 Entscheidungen unter Unwissenheit I
        2.2.1 Die einfachste Entscheidungsregel: Das Prinzip der Dominanz
        2.2.2 Präferenzen
        2.2.3 Ordinale Nutzenfunktionen
        2.2.4 Entscheidungsregeln auf Basis des ordinalen Nutzens
        2.2.5 Aufgaben
    2.3 Entscheidungen unter Unwissenheit II
    2.4 Entscheidungen unter Risiko
3 Zur Theorie der Kollektiven Entscheidungen
4 Wahrscheinlichkeitsrechnung
5 Neumann-Morgensternsche Nutzentheorie
6 Spieltheorie
7 Kritische Reflexion
8 Beispielklausur
Literaturverzeichnis

2.2.1 Die einfachste Entscheidungsregel: Das Prinzip der Dominanz

Bisher haben wir nur über die Darstellung von Entscheidungsproblemen in Form von Entscheidungsbäumen und -tabellen gesprochen. Wie kann man aber nun (mit Hilfe von Bäumen oder Tabellen) Entscheidungsprobleme lösen? Ein besonders offensichtliches Prinzip, das bei der Lösung von Entscheidungsproblemen eine Rolle spielt, ist das Prinzip der Dominanz. Betrachten wir dazu noch einmal die eingangs vorgestellte Entscheidungstabelle:

Zustand
schwere Klausur leichte Klausur
lernen bestehen bestehen
Handlungfaulenzen durchfallen bestehen

Man sieht anhand der Tabelle sofort, dass es auf jeden Fall besser wäre zu lernen als zu faulenzen, denn in dem Fall, dass die Klausur schwer ist, erzielt man durch Lernen ein besseres Ergebnis und in dem Fall, dass sie leicht wird, ist das Ergebnis wenigstens nicht schlechter als wenn man nicht lernt. Das bei dieser Überlegung implizit zu Grunde gelegte Entscheidungsprinzip kann man folgendermaßen formulieren.

Prinzip der schwachen Dominanz: Wenn eine Handlung unter allen Umständen zu einem mindestens gleichguten Ergebnis führt wie alle anderen Alternativen und in mindestens einem möglichen Fall zu einem besseren Ergebnis, dann wähle diese Handlung.

Analog zu dem Prinzip der schwachen Dominanz kann man auch ein Prinzip der starken Dominanz aufstellen, bei dem gefordert wird, dass die zu wählende Handlung unter allen Umständen zu einem eindeutig besseren Ergebnis führt als sämtliche verfügbaren Alternativen. An dieser Stelle ist die Unterscheidung zwischen schwacher Dominanz und starker Dominanz noch nicht besonders wichtig. Der Begriff der starken Dominanz könnte sogar verzichtbar erscheinen. Allerdings spielt diese Unterscheidung spätestens bei der Suche nach geeigneten Lösungsstrategien in der Spieltheorie wieder eine wichtige Rolle und wird uns dort noch beschäftigen.

Das Prinzip der schwachen Dominanz erscheint so einfach und eindeutig, dass man nicht vermuten sollte, dass es bei seiner Anwendung irgendwelche Schwierigkeiten auftreten könnten. Dass das nicht unbedingt stimmen muss, kann das folgende Beispiel verdeutlichen: Angenommen, Sie betreten ein Wettbüro, in dem Sportwetten für die Sportarten Fussball und Tennis angeboten werden. Der Einsatz beträgt in jedem Fall 2 Euro, aber da sehr viel weniger Leute an Tennis interessiert sind als an Fussball, können Sie bei einer Tenniswette höchstens € 10.000 gewinnen, während bei einer Fußballwette satte € 50.000 drin sind. Ihre Entscheidungstabelle würde als folgendermaßen aussehen:

Wette gewinntWette verliert
Tenniswette € 9.998 € -2
Fussballwette € 49.998 € -2

Wollte man in dieser Situation auf das Prinzip der Dominanz zurückgreifen, dann müsste man sich eigentlich ganz klar für die Fussballwette entscheiden. Warum könnte das aber ein Trugschluss sein? Der Grund ist folgender: Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Gewinnchancen bei beiden Wetten sehr unterschiedlich verteilt sind. Werden einem zwei solche Wetten angeboten, dann ist davon auszugehen, dass die Gewinnchancen bei der Fussballwette sehr viel geringer sind als bei der Tenniswette. Je nachdem, um wieviel sie geringer sind, könnte es sein, dass die Tenniswette sogar aussichtsreicher ist als die Fussballwette. (Was „aussichtsreicher“ dabei exakt heisst, werden wir noch genau definieren, wenn wir Entscheidungen unter Risiko besprechen.) Wenn man so will, besteht der „Denkfehler“ bei diesem Beispiel also darin, dass die Problemspezifikation unvollkommen war, indem wichtige Hintergrundinformationen über die Natur dieses speziellen Entscheidungsproblem, nämlich die Handlungsabhängigkeit der Eintrittswahrscheinlichkeiten der Ereignisse, bei der Formalisierung in Tabellenform „vergessen“ wurden.

Daneben gibt es aber noch ein weiteres denkbares Problem, wie das folgende, mit leichten Abwandlungen aus Resniks Buch (Resnik 1987, S.9 ) übernommene Beispiel verdeutlicht. Das Beispiel gibt stark vereinfacht die strategische Problematik der Aufrüstung im kalten Krieg wieder:

KriegFrieden
Aufrüsten bdquo;Tot“ hohe Militärausgaben
Abrüsten bdquo;Rot“ bdquo;Friedensdividende“

Nimmt man einmal an, dass es besser ist, sich zum Kommunismus bekehren zu lassen als zu sterben, dann müsste man nach dem Prinzip der Dominanz eigentlich Handlungsalternative „Abrüsten“ eindeutig vorziehen, denn unabhängig davon, ob es Krieg oder Frieden gibt, erzielt man mit der Entscheidung zugunsten der Abrüstung in beiden Fällen das jeweils bessere Ergebnis. Wo ist der Haken an dieser Argumentation? Der „Haken“ besteht darin, dass das Eintreten der Zustände „Krieg“ oder „Frieden“ nicht unabhängig davon ist, welche Handlung gewählt wird. Zumindest nach Ansicht von Aufrüstungsbefürwortern hätte damals eine zu weit gehende Abrüstung die Gefahr eines Überfalls durch die Ostblockstaaten drastisch erhöht. Stimmt man dem zu, dann ist es keineswegs mehr so eindeutig, dass Abrüsten die bessere Wahl ist.

Dieses Beispiel zeigt, dass es noch eine weitere stillschweigende Voraussetzungen für die Anwendung des Prinzips der Dominanz (wie sowie übrigens auch anderer Entscheidungsregeln) gibt, nämlich die Unabhängigkeit der „Zufallsereignisse“ bzw. der Weltzustände von den getroffenen Entscheidungen. In dem angeführten Beispiel ist eine solche Unabhängigkeit nicht gegeben, da wir es mit einem Gegenspieler zu tun haben, der auf unsere Entscheidungen reagiert. Strengenommen haben wir es daher gar nicht mehr mit einem reinen Entscheidungsproblem zu tun, sondern mit einem Problem strategischer Interaktion, das bereits in das Gebiet der Spieltheorie fällt.

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