Vorlesungsskript: Grundlagen des Entscheidens I |
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Bevor aber auf das mathematische Kalkül der Wahrscheinlichkeitsrechnung eingegangen wird, ist zunächst etwas zu der Frage zu sagen, was Wahrscheinlichkeiten eigentlich sind. Es gibt drei Arten von Phänomenen, auf die man das Wahrscheinlichkeitskalkül anwenden kann:
Die Tatsache, dass man auf alle drei Klassen von Phänomenen ein- und dasselbe wahrscheinlichkeitstheoretische Kalkül anwendet - zudem es übrigens, sofern man seine Anwendung auf den entsprechenden empirischen Phänomenbereich überhaupt zugesteht, keine Alternative gibt - darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich - empirisch betrachtet - um sehr unterschiedliche Phänomene handelt. Das gilt trotz der Tatsache, dass die Interpretation, um welche Art von (empirischer) Wahrscheinlichkeit es sich handelt, nicht in jedem Fall eindeutig oder zwingend ist. So kann man die Wahrscheinlichkeit, beim Würfeln eine Sechs zu würfeln statt als Propensität des Systems „Würfel“ auch als Häufigkeit verstehen, mit der bei einer großen Anzahl von Würfen die Sechs auftritt.
[50] Dagegen könnte eingewandt werden, dass beim Würfeln als einem nach der klassischen Mechanik streng deterministisch zu beschreibenden Vorgang das Ergebnis schon vorherbestimmt ist, so dass man nicht im wörtlichen Sinne von einer „objektiven Wahrscheinlichkeit“ seines Eintretens sprechen könne. Da es aber andererseits noch nie jemanden gelungen ist, Würfelwürfe tatsächlich vorherzusagen, so spricht - ungeachtet der Beschreibung des Systems durch eine deterministische Theorie - nichts dagegen, den Ausgang des Würfelwurfs als objektiv zufällig zu betrachten. Mit dieser Interpretation folge ich der (allerdings etwas umstrittenen) Theorie von Nancy Cartwright, der zufolge (natur-)wissenschaftliche Theorien nur bei den Vorgängen überhaupt gültig sind, an denen man sie auch nachweisen kann (Cartwright 1999).