Vorlesungsskript: Grundlagen des Entscheidens I

Eckhart Arnold

1 Vorwort
2 Techniken des Entscheidens
3 Zur Theorie der Kollektiven Entscheidungen
    3.1 Sozialwahltheorie
    3.2 Zur Diskussion der Sozialwahltheorie
    3.3 Die These des „demokratischen Irrationalismus“
        3.3.1 Historische Beispiele
            3.3.1.1 Die Wilmot-Klausel
            3.3.1.2 Die Präsidentschaftswahl von 1860
    3.4 Fazit
4 Wahrscheinlichkeitsrechnung
5 Neumann-Morgensternsche Nutzentheorie
6 Spieltheorie
7 Kritische Reflexion
8 Beispielklausur
Literaturverzeichnis

3.3.1 Historische Beispiele

Diejenigen der historischen Beispiele Rikers, die hier diskutiert werden sollen, führen uns in die Zeit unmittelbar vor dem amerikanischen Bürgerkrieg. Daher ist zunächst etwas zum historischen Hintergrund zu sagen.

Im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sich in den Vereinigten Staaten ein Zwei-Parteien System herausgebildet, mit den „Whigs“ auf der einen und den „Demokraten“ auf der anderen Seite. Diese Parteien waren zunächst Sammlungsbewegungen ohne scharfes ideologisches Profil. In beide Parteien strömten die früheren Föderalisten (was zeigt, dass die Spaltung zwischen Föderalisten und Antiföderalisten aus der Gründungszeit überwunden war) und beide Parteien waren sektionsübergreifend in dem Sinne, dass die Parteigrenzen auch nicht strikt entlang geographischer Regionen (etwa Nordstaaten-Südstaaten oder Neu England-Westen) verliefen. Dies änderte sich jedoch in der Mitte der 19. Jahrhunderts und einer der wesentlichen Auslöser war die am 8. August 1846 ins Repräsentanten-Haus eingebrachte Wilmot-Klausel, die ein Verbot der Sklaverei in den neuerworbenen (bzw. neu zu erwerbenden) Gebieten Texas und New Mexico forderte. Der Vorstoß scheiterte zwar, führte aber die Frage der Sklaverei in den neuen Gebieten als bestimmendes Thema der amerikanischen Politik der folgenden Jahrzehnte ein. Das Thema Sklaverei bewirkte eine zunehmende Polarisierung der politischen Lager, wobei die Frontlinien mehr und mehr entlang der Sektionsgrenzen verliefen. Diese Veränderung der politischen Landschaft spiegelte sich in der Umformung des Parteiensystems wieder. Die Partei der Whigs zerfiel und ging schließlich größtenteils in der 1954 von Anti-Sklaverei-Aktivisten neu geründeten Partei der Republikaner auf. Die Demokraten wandelten sich mehr und mehr zu einer Südstaaten-Partei, eine Prägung, die sie bis weit ins 20. Jahrhundert beibehalten sollten. Daneben entstanden als Übergangserscheinung in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Reihe kurzlebiger Parteien, von für uns aber nur die gegen die Sklaverei gerichtete „Free Soil Party“ im Zusammenhang mit der Wilmot-Klausel eine Rolle spielt.

Die Präsidentschaftswahl von 1860, neben der Wilmot-Klausel das zweite Beispiel Rikers, das hier besprochen werden soll, fand in einer aufgeheizten Atmosphäre statt. Von den Vier Kandidaten vertrat der schließlich zum Präsidenten gewählte Abraham Lincoln die vergleichsweise „radikalste“ Anti-Sklaverei Position. Noch bevor er sein Amt am 4. März 1861 antrat hatten die Südstaaten mit der Sezession begonnen. Riker zufolge lagen sowohl bei den Abstimmungen im Repräsentantenhaus über die Wilmot-Klausel als auch bei den Präsidentschaftswahlen von 1960 zyklische Präferenzen vor. Der Ausgang der Wahl und damit der folgenschweren Ereignisse, die zum amerikanischen Bürgerkreig führten, waren Rikers Deutung zufolge, also ein eher zufälliges Artefakt des Wahlsystems. Auch wenn die Abschaffung der Sklaverei, die sich dadurch ergab, natürlich befürwortenswert ist: „A fortunate by-product of that process was the abolition of slavery“ (Riker 1982, S. 232, hervorhebung von mir, E.A.)

Wie Riker seine Deutung(en) belegt soll nun im Einzelnen untersucht werden.

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