Der Einsatz evolutionärer Computermodelle bei der Untersuchung historischer und politischer Fragestellungen

Eckhart Arnold

1 Einleitung
2 Evolutionäre Erklärungen
3 Computermodelle zur Simulation evolutionärer Vorgänge
4 Beispiele für evolutionäre Erklärungsansätze im Bereich der Kulturwissenschaften
    4.1 Die evolutionäre Erklärung historischer Prozesse
        4.1.1 Die neolithische „Evolution“ (J. Diamond)
        4.1.2 „Das Wunder Europas“ (Eric Lionel Jones)
    4.2 Evolutionäre Stabilität ethischer Normen
5 Zitierte Literatur
6 Anhang: Programmcode des Computerturniers

4.1.2 „Das Wunder Europas“ (Eric Lionel Jones)

Ähnlich wie Diamond versucht auch Eric Jones den historischen „Erfolg“ Europas zu erklären (Jones 1991). Anders als dieser schreibt er jedoch nicht die Geschichte der Menschheit seit den letzten 13.000 Jahren, sondern er beschränkt sich auf die jüngste Zeit vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Bei seiner Erklärung misst er dem schleichenden Prozess stetiger wirtschaftlicher und technischer Entwicklung wesentlich größere Bedeutung bei als vermeintlichen historischen Durchbrüchen wie der Entdeckung der Gravitationskraft oder der industriellen Revolution. Ohne dies immer explizit zu erwähnen, legt Jones dabei ein evolutionäres Erklärungsschema zu Grunde. Demnach kam dem europäischen Kontinent gerade seine politische Kleinräumigkeit zu Gute. Diese ermöglichte es, neue Errungenschaften gleich welcher Art gewissermaßen evolutionär auszuprobieren. Wenn ein Erfinder oder ein Entdecker bei einem bestimmten Herrscher kein Gehör fand, so brauchte er nicht weit zu reisen, um einen anderen zu finden, der vielleicht größeres Interesse zeigte, und dafür im günstigsten Fall mit einer Erfindung belohnt wurde, die ihm einen wichtigen Vorteil gegenüber seinen Rivalen sichern konnte. Aus demselben Grund konnten es sich die Herrscher in Europa auch nicht erlauben den wirtschaftlich potenten Schichten, deren Angehörige nur eine Grenze überschreiten mussten um sich der Willkür eines bestimmten Herrschers zu entziehen, bis auf den letzten Blutstropfen Steuern abzupressen. In zentralisierten Staaten wie dem chinesischen Kaiserreich verhielt sich dies anders: Hier konnte der Herrscher eine neue Errungenschaft ohne Mühe per Dekret verbieten, wenn sie ihm nicht zusagte, und Jones führt zahlreiche Beispiele auf, wo dies auch der Fall gewesen ist (Jones 1991, 77, 231ff.).

Natürlich bildet dieser Gesichtspunkt nur einen Teilaspekt von Jones Erklärung. Die Nationalstaatsbildung und der Aufstieg der Handel treibenden Klassen waren für das „Wunder Europa“ von kaum gringerer Bedeutung. Dennoch läßt sich aus Jones Darstellung etwas vereinfachend die Quintessenz ziehen, dass Europa gerade deshalb so erfolgreich war, weil hier evolutionäre Trial and Error-Prozesse wirksam werden konnten.[6]

[6] In ähnlicher Weise wird übrigens oft auch der Erfolg des US-amerikanischen Föderalismus gegenüber dem europäischen (und erst recht dem bundesdeutschen) Föderalismus gedeutet. Im amerikanischen Föderalismus herrscht gerade das richtige Maß an Unabhängigkeit der einzelnen Staaten, welches das Ausprobieren unterschiedlicher Wege ermöglicht. Zugleich gibt es kaum Barrieren (wie etwa die Sprachbarrieren in Europa), die der raschen Verbreitung erfolgreicher Vorbilder im Wege stehen.

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