Der Einsatz evolutionärer Computermodelle bei der Untersuchung historischer und politischer Fragestellungen

Eckhart Arnold

1 Einleitung
2 Evolutionäre Erklärungen
3 Computermodelle zur Simulation evolutionärer Vorgänge
4 Beispiele für evolutionäre Erklärungsansätze im Bereich der Kulturwissenschaften
    4.1 Die evolutionäre Erklärung historischer Prozesse
        4.1.1 Die neolithische „Evolution“ (J. Diamond)
        4.1.2 „Das Wunder Europas“ (Eric Lionel Jones)
    4.2 Evolutionäre Stabilität ethischer Normen
5 Zitierte Literatur
6 Anhang: Programmcode des Computerturniers

4.1.1 Die neolithische „Evolution“ (J. Diamond)

In seinem Buch „Guns, Germs and Steel“ (Diamond 1998) unternimmt Jared Diamond den anspruchsvollen Versuch, die zivilisatorische Entwicklung menschlicher Gesellschaften (und insbesondere den Entwicklungsvorsprung der eurasischen Gesellschaften) aus natürlichen Umweltbedingungen ihrer geographischen Region zu erklären. So erklärt Diamond beispielsweise die Geschwindigkeit, mit der Ackerbau und Viehzucht entwickelt wurden und sich ausbreiten konnten, aus dem Vorhandensein (oder eben Nicht-Vorhandensein) von Pflanzen und Tieren die zur Domestikation geeignet waren, und damit ob sich diese Kulturtechniken entlang einer Ost-West-Achse (Eurasien) oder entlang einer Nord-Süd-Achse (Amerika), die sich über unterschiedliche Klimazonen ersteckt, ausbreiten mussten. Diamonds Erklärung erscheint deshalb so zwingend, weil sie zeigt, dass die Entwicklung grundlegender zivilisatorischer Errungenschaften von Umweltbedingungen abhängig ist, deren Fehlen auch der größte menschliche Erfindungsgeist nicht ausgleichen kann.

Inwiefern handelt es sich dabei um einen evolutionären Erklärungsansatz? Die Wege, auf denen sich Kulturtechniken ausbreiten und selektiv gegen andere Kulturtechniken durchsetzen (kriegerische Verdrängung, kulturelles Lernen), wurden bereits angesprochen. Entscheidend ist außerdem, dass es ein hinreichend großes Versuchfeld gab, indem unterschiedliche Kulturtechniken erprobt und verfeinert werden konnten. Doch auch dies ist unproblematisch, da Diamond relativ lange Zeitspannen betrachtet, und zudem geographische Räume behandelt, in denen oft eine Vielzahl untereinander mehr oder weiniger lose verbundener Gesellschaften existierten. Insbesondere gelingt es Diamond auch die Zwischenstadien der evolutionären Entwicklung zu identifizieren, indem er z.B. nachweist, dass auch Völker, die noch keinen Ackerbau betreiben, in manchen Fällen als mögliche Vorstufe des Ackerbaus bereits Nutzgärten pflegen.

Von besonderem Interesse ist Diamonds Darstellung der Evolution der politischen Verbände vom Stammesverband bis zum großen Flächenstaat. Großstaaten stützen sich auf eine Reihe von politischen, religiösen, wirtschaftlichen, rechtlichen und militärischen Insitutionen, die in ihrem Zusammenspiel so komplex sind, dass sie in ihrer Gesamtheit kaum von genialen Reichsgründern oder Zivilisationsstiftern erfunden worden sein können. Obwohl Diamond für die schrittweise Entwicklung der großen Staatswesen eine relativ schlüssige Typologie anbietet, bleibt dieses Gebiet innerhalb seiner Theorie am ausbaufähigsten. Die Nachzeichnung der evolutionären Prozesse die zur Entwicklung der komplizierten Institutionengefüge von Staaten geführt haben, ist so gesehen noch eine Herausforderung. (Auch wenn in dieser Hinsicht z.B. von Max Weber und dessen Nachfolgern einiges geleistet worden ist. Aber gerade diese Vorleistungen ließen sich mit Hilfe evolutionärer Erklärungsansätze womöglich noch verfeinern.)

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