Der Einsatz evolutionärer Computermodelle bei der Untersuchung historischer und politischer Fragestellungen

Eckhart Arnold

1 Einleitung
2 Evolutionäre Erklärungen
3 Computermodelle zur Simulation evolutionärer Vorgänge
4 Beispiele für evolutionäre Erklärungsansätze im Bereich der Kulturwissenschaften
5 Zitierte Literatur
6 Anhang: Programmcode des Computerturniers

1 Einleitung

Wie viele andere bedeutende wissenschaftliche Entdeckungen auch, hat die Evolutionstheorie seit ihrer Erfindung Wirkungen entfaltet, die weit über den Kreis ihrer ursprünglichen Anwendung hinaus reichen. Daher verwundert es nicht, dass schon bald nach Darwins Entdeckung die wichtigsten Stichworte seiner Theorie (bzw. der durch Herbert Spencer und andere popularisierten Form von Darwins Theorie (Vgl. Koch 1973, S.38ff.)) in den Gesellschaftswissenschaften auftauchten - nicht selten in Form kruder Analogien und Übertragungen von halbverstandenen biologischen Erkenntnissen. So bildete bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts der „Sozialdarwinismus“, d.i. die Ansicht, dass auch das Zusammenleben der Menschen in der Gesellschaft sowie der Wettbewerb zwischen den Gesellschaften durch einen „Kampf ums Dasein“ und das „Überleben des Stärksten“ bestimmt sei, die wohl dominanteste Form der Übertragung evolutionstheoretischer Vorstellungen auf den gesellschaftlichen Bereich. Nicht zuletzt wegen seiner verheerenden normativen Konsequenzen gilt der Sozialdarwinismus heutzutage zu Recht als diskreditiert.

Sieht man von solchen Missverständnissen jedoch einmal ab, so erscheint die grundlegende Frage, ob nicht die Entwicklung kultureller und sozialer Systeme oder auch politischer Ordnungen durch evolutionäre Mechanismen erklärt werden kann, nach wie vor interessant. Es ist durchaus denkbar, dass auch im Wettbewerb der Gesellschaftsformen oder der Produktionstechniken die Mechanismen der Mutation und Selektion wirksam sind, die - ähnlich wie in der natürlichen Evolution - unter gegebenen Umweltbedingungen einen evolutionären Entwicklungsprozess herbeiführen.

In diesem Aufsatz soll deshalb einmal der Frage nachgegangen werden, wie evolutionäre Erklärungen historischer, gesellschaftlicher und politischer Vorgänge beschaffen sein könnten, und bei welchen Vorgängen dieser Art ein evolutionärer Erklärungsansatz erfolgversprechend erscheint. Um ein Ergebnis dieses Aufsatzes vorweg zu nehmen: Es gibt eine Reihe von Phänomenen aus dem Bereich der historischen und politischen Wissenschaften, bei denen ein Erklärungsansatz mit Hilfe evolutionärer Modelle sich als fruchtbar erweisen könnte. Dazu gehören z.B. historische Vorgänge, die sich über große Zeiträume hinweg abspielen, wie etwa die Entstehung sozialer und politischer Normen (sowohl solcher, die ethischer Natur sind, als auch solcher, die man eher als bloße Klugheitsregeln einstufen würde). Da die Evolutionstheorie eine kausale Erklärung teleologischer Strukturen darstellt, könnte ein evolutionärer Ansatz besonders dann hiflreich sein, wenn es darum geht die Entstehung leistungsfähiger sozialer Institutionen und wirklichkeitstauglicher Normensysteme zu erklären, die in der Form, in der sie sich schließlich durchsetzen, nicht zuvor geplant gewesen sein konnten. Was die Untersuchung von Normen betrifft kann dabei interessanterweise nicht nur die empirische Frage, warum diese oder jene Norm sich durchgesetzt hat, sondern auch die ethische Frage, ob eine bestimmte Norm als moralisch gültig anerkannt werden sollte, unter einem evolutionären Gesichtspunkt betrachtet werden.

Im folgenden werde ich zunächst in abstracto beschreiben, wie evolutionäre Erklärungen kultureller Phänomene konstruiert werden können, und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine solche evolutionäre Erklärung als vollständig gelten kann. Dazu werde ich zunächst eine allgemeine Evolutionstheorie vorstellen, die den Rahmen für Erklärungen historischer Vorgänge abgeben soll. Innerhalb dieses theoretischen Rahmens soll dann besonderes Augenmerk auf den Einsatz von Computersimulationen gerichtet werden. Hierfür werde ich in Anlehnung an Robert Axelrods bahnbrechende Untersuchungen (Axelrod 1984) eine Computersimulation vorstellen, die es erlaubt, evolutionäre - in diesem Fall speziell populationsdynamische Vorgänge - am Modell zu studieren.

Schließlich soll an einigen Beispielen wenigstens andeutungsweise gezeigt werden, wie evolutionäre Erklärungen in der Philosophie und den Gesellschaftswissenschaften eingesetzt werden können.

t g+ f @