Der Einsatz evolutionärer Computermodelle bei der Untersuchung historischer und politischer Fragestellungen

Eckhart Arnold

1 Einleitung
2 Evolutionäre Erklärungen
3 Computermodelle zur Simulation evolutionärer Vorgänge
    3.1 Ein Beispiel: Die Simulation des iterierten Gefangenendilemmas
    3.2 Erweiterung zur populationsdynamischen Simulation
    3.3 Möglichkeiten und Grenzen von Computermodellen bei der Untersuchung evolutionärer Prozesse
4 Beispiele für evolutionäre Erklärungsansätze im Bereich der Kulturwissenschaften
5 Zitierte Literatur
6 Anhang: Programmcode des Computerturniers

3 Computermodelle zur Simulation evolutionärer Vorgänge

Soeben wurde umrisshaft gezeigt, wie eine allgemeine Evolutionstheorie durch Axiome beschrieben werden kann, und wie diese Theorie auf historische Vorgänge angewendet werden könnte. Doch gerade die Anwendung dieser Theorie auf bestimmte wissenschaftliche Probleme wirft noch weitere Fragen auf. Denn selbst wenn in einer gegebenen Situation alle wirksamen Selektionsbedingungen fesgestellt worden sind, bleibt noch offen, welche Organismen (bzw. welche sozialen Normen, Insitutionen, Kulturtechniken) nach Maßgabe dieser Selektionsbedingungen die „Fitteren“ sind, und nach welchem Muster und wie rasch dementsprechend der evolutionäre Prozess ablaufen wird. In einigen Fällen mag die Antwort zwar offensichtlich sein, da manche evolutionäre Entwicklungen nur unter ganz bestimmten Umweltbedingungen möglich sind. So konnte sich beispielsweise die Viehzucht nur in solchen geographischen Regionen entwickeln, wo Tiere leben, die domestizierbar sind (Diamond 1998, S.85ff.). In anderen Fällen liegt die Antwort jedoch nicht unmittelbar auf der Hand. Es empfiehlt sich daher evolutionäre Vorgänge zunächst am Modell zu studieren, um so die Bedingungen evolutionärer Vorgänge and typische Entwicklungsmuster festzustellen, nach denen in der Wirklichkeit Ausschau gehalten werden muss.

Während die Untersuchung evolutionärer Prozesse in der Biologie naturgemäß sehr weit fortgeschritten ist, trifft man in den Gesellschaftwissenschaften (von Ausnahmen abgesehen) allenfalls in der Ökonomie auf entsprechend ausgearbeitete Modelle. Letztere werden zumeist auf spieltheoretischer Grundlage und auf mathematisch zum Teil sehr anspruchsvollen Niveau gebildet (z.B. Binmore/Samuelson 1992). Zu der mathematematischen Modellbildung tritt als eine vergleichsweise junge Technik der Einsatz von Computersimulationen hinzu. Computersimulationen sind dabei als eine Ergänzung und Erweiterung der mathematischen Modellbildung zu verstehen. Im Gegensatz zu diesen zeichnen sie sich allerdings häufig durch eine größere Einfachheit und Anschaulichkeit aus. Zudem gibt es bstimmte Probleme, die sich mathematisch nur sehr schwer in den Griff bekommen lassen, die aber mühelos auf einem Computer programmiert werden können.

Eine Pionierleistung auf diesem Gebiet stellt Robert Axelrods „Evolution der Kooperation“ (Axelrod 1984) dar. Axelrod untersuchte in diesem Werk mit Hilfe von Computerturnieren, in denen er eine Anzahl von Spielern mit unterschiedlichen Strategien parweise gegeneinander antreten ließ, welche Strategien im wiederholten Gefangenendilemmaspiel besonders erfolgreich abschneiden, und ob eher kooperative Strategien oder eher destruktive Strategien eine Chance haben, sich auf lange Sicht evolutionär durchzusetzen.

Um das Prinzip derartiger Computersimulationen besser zu verdeutlichen, werde ich im folgenden eine einfache Simulation des iterierten Gefangenendilemmas nach dem Vorbild des Computerturniers in Robert Axelrods „Evolution der Kooperation“ (Axelrod 1984) vorstellen. Dabei werde ich auch einige Varianten von Axelrods Simulation durchspielen, bei denen es um den Einfluss von Missverständnissen bzw. Fehlleistungen und um die evolutionäre Stabilität erfolgreicher Strategien unter dem Druck degenerativer Mutationen geht.

Es zeigt sich dabei übrigens, dass Axelrods Ergebnisse sehr stark von der Wahl bestimmter Vorgaben wie der Strategiemenge und der Auszahlungsparameter abhängig sind, und dass bei geänderten Bedingungen viele von Axelrods Behauptungen nicht mehr ohne weiteres aufrecht erhalten werden können. Dies bedeutet, dass man die Genauigkeit der Ergebnisse Axelrods und ähnlicher Computersimulationen für die Beurteilung von Vorgängen aus dem gesellschaftlichen oder politischen Bereich nicht überschätzen darf, da in diesen Bereichen die ermittelten Parameter oft nur ungenaue Schätzwerte wiedergeben, so dass die Instabilität des Modells gegenüber der Veränderung der Paramter sich auf die Schlussfolgerungen vom Modell auf die Wirklichkeit überträgt.

Beabsichtigt ist aber weniger die Widerlegung oder Relativierung von Axelrods Ergebnissen - die Schwächen seiner Theorie sind in der einschlägigen Literatur eingehend diskutiert worden (vgl. Binmore 1994, 194ff., vgl. Schüßler 1990, 33ff.) - als vielmehr die Darstellung der Einsatzmöglichkeiten von Computersimulationen an einem hinreichend einfachen Beispiel.

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