Der Einsatz evolutionärer Computermodelle bei der Untersuchung historischer und politischer Fragestellungen

Eckhart Arnold

1 Einleitung
2 Evolutionäre Erklärungen
3 Computermodelle zur Simulation evolutionärer Vorgänge
    3.1 Ein Beispiel: Die Simulation des iterierten Gefangenendilemmas
    3.2 Erweiterung zur populationsdynamischen Simulation
    3.3 Möglichkeiten und Grenzen von Computermodellen bei der Untersuchung evolutionärer Prozesse
4 Beispiele für evolutionäre Erklärungsansätze im Bereich der Kulturwissenschaften
5 Zitierte Literatur
6 Anhang: Programmcode des Computerturniers

3.3 Möglichkeiten und Grenzen von Computermodellen bei der Untersuchung evolutionärer Prozesse

Um die Erklärungskraft von Computermodellen bei der Untersuchung evolutionärer Vorgänge im Bereich der Gesellschaftswissenschaften richtig einzuschätzen, muss man berücksichtigen, dass in diesem Bereich die relevanten Einflüsse selten mit hinreichender Genauigkeit bestimmt oder auch nur vollständig benannt werden können.[5] Von Ausnahmefällen abgesehen dürfte es daher kaum möglich sein, Computermodelle zu erstellen, die genaue Prognosen ermöglichen.

Dennoch kann der Einsatz von Computermodellen sinnvoll sein, um die Muster zu studieren, nach denen evolutionäre Prozesse ablaufen. Eine gewisse Vorsicht ist jedoch geboten, wenn aus einer Computersimulation verallgemeinernde Schlussfolgerungen gezogen werden sollen. Sonst besteht die Gefahr, dass zufällige, d.h. von der Wahl bestimmter Paramter abhängige Simulationsergebnisse voreilig zu allgemeinen Regeln hypostasiert werden.

Aus heutiger Sicht erscheint der Ansatz von Axelrods „Evolution der Kooperation“, der hier einmal als Beispiel nachvollzogen wurde, gerade in dieser Hinsicht noch als zu unvorsichtig, um nicht zu sagen naiv. So beruht die Tatsache, dass in den beiden aufeinanderfolgenden Turnieren, die Axelrod in seinem Buch beschreibt (Axelrod 1984, Kap. 2), jedesmal die Strategie Tit for Tat als Sieger hervorging, wahrscheinlich nur auf Zufall. Denn der Erfolg von Tit for Tat hängt nicht zuletzt von der Auswahl der Strategiemenge ab, die bei Axelrod hochgradig kontingent ist, indem sie durch eine Art von Preisausschreiben bestimmt wurde. Versucht man systematischer vorzugehen und als Strategiemenge alle Strategien mit einer gewissen Komplexität zu Grunde zu legen, also beispielsweise alle Strategien, die sich als endliche Automaten darstellen lassen, die bis zu zwei Zustände speichern können, dann gewinnt mitnichten Tit For Tat. Wie die Abbildung 4 zeigt, geht in diesem Falle vielmehr die Strategie Grim (Ewige Vergeltung) als Sieger aus dem Wettkampf hervor (vgl. auch Binmore 1998, 322). Allerdings ist auch damit noch nicht das letzte Wort gesprochen, denn es könnte nun wiederum eingewandt werden, dass die Menge aller ein- und zweistufigen Automaten keine sinnvolle Ausgangsbasis ist, da sie eine ungewöhnlich große Anzahl ausgesprochen „dummer“ Strategien enthält, die auch auf ständige Defektion mit fortgesetzter Kooperation reagieren, was kaum realistisch erscheint.


[image: Pure.png]
Abbildung 4. Populationsdynamische Simulation mit endlichen Automaten.

Diese Einwände verdeutlichen, dass die Interpretation der Ergebnisse von Computersimulation keineswegs trivial ist und durch theoretische Überlegungen abgestützt werden muss.

[5] Wie wollte man beispielsweise die Agressivität eines Staates beziffern? Agressivität kann sich in militärischer Aufrüstung ebenso ausdrücken wie in rhetorischem „Säbelrasseln“ der Regierung. Wie das Beispiel zeigt, ist es oft noch nicht einmal möglich, eine auch nur halbwegs genaue Ordnungsrelation („agressiver als“) aufzustellen.

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