Die Humanismuskritik Arnold Gehlens in seinem Spätwerk "Moral und Hypermoral"

Eckhart Arnold

1 Einleitung
2 Die philosophische Entwicklung Arnold Gehlens
3 Gehlens Humanismuskritik in „Moral und Hypermoral“
    3.1 Der Begriff des „Humanitarismus“ und Gehlens Kritik an der humanistischen Ethik
    3.2 Kritik der antihumanistischen Argumente Gehlens
        3.2.1 Vorüberlegung zu Gehlens Methode: Entlarvungstechnik und empirische Ethik
        3.2.2 Kritik des historischen Argumentes
        3.2.3 Kritik des politischen Argumentes
        3.2.4 Kritik des anthropologischen Argumentes
            1.Die Überforderung des Einzelnen durch das Humanitätsethos
            2.Der Gehorsam und das Gewissen
4 Gehlens Programm der pluralistischen Ethik und der Vorwurf der Moralhypertrophie
5 Gegenentwurf: Hierarchische Ethik und Humanität als Primärtugend
6 Schluß
Literaturverzeichnis

2.Der Gehorsam und das Gewissen

In den Situationen, in denen es für den Einzelnen geboten wäre, sich aus moralischen Gründen gegen die Institutionen zu entscheiden, ist er in der Regel auf sein eigenes Gewissen verwiesen, denn die gesellschaftliche Moral heiligt für gewöhnlich die herrschenden Institutionen. Eine Institution bei der dies nicht der Fall wäre, würde vermutlich schnell abgeschafft werden, oder sie würde von selbst verschwinden. Wird nun grundsätzlich vom Einzelnen Verantwortung für die Institutionen gefordert, so hieße dies der freien Gewissensentscheidung Tür und Tor zu öffnen, einer Gewissensentscheidung, die dann oft genug falsch oder verlogen ausfallen wird und so bestenfalls zur einer erhöhten Zahl von Deserteuren, untreuen Mitarbeitern oder abtrünnigen Verwaltungsbeamten führt, die schlimmstenfalls aber auch Terroristen die moralische Selbstermächtigung zu beliebigen Verbrechen möglich macht. Andererseits kann die gegenteilige Forderung, unter allen Umständen die (institutionelle) Pflicht zu tun, nicht weniger fatale Folgen haben. Mit dieser Moral lassen sich die Menschen zu dienlichen Werkzeugen für die schlimmsten Verbrechen vom Weltkrieg bis zum Völkermord machen. Denn, mag das Gewissen auch eine tyrannische Macht sein, so ist es der blinde Gehorsam nicht weniger.

Angesichts dieser Situation scheint es immer noch besser, grundsätzlich von der Gültigkeit des Institutionenethos auszugehen, aber dabei klarzustellen, daß die Tugenden der Disziplin und Pflichterfüllung gegenüber den Institutionen neben der Menschlichkeit sekundär bleiben.

Von diesem Standpunkt aus läßt sich nun die Frage nach der Geltung der „vaterländischen Tugenden“ beantworten. Das Humanitätsethos steht weder der Heimatliebe im Sinne einer persönlichen Präferenz noch dem Patriotismus im Sinne eines maßvoll gehandhabten moralischen Gebotes entgegen. Allerdings bleibt der Patriotismus der Humanität untergeordnet, und die Grenze liegt dort, wo der Patriotismus in Chauvinismus, d.i. der moralischen Abwertung anderer Nationen oder Völker, übergeht, oder wo der Patriotismus aus falsch verstandenem vaterländischem Stolz den Staat und die Souveränität als Selbstzweck betrachtet und dadurch eine maßvoll-vernünftige Sicherheitspolitik erschwert.

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