Religiöses Bewusstsein und Politische Ordnung. Eine Kritik von Eric Voegelins Bewusstseinsphilosophie

Eckhart Arnold

1 Vorwort zur Buchausgabe
2 Einleitung
    2.1 Thema
    2.2 Methode
    2.3 Quellen und Sekundärliteratur
    2.4 Aufbau
3 Die Grundzüge von Voegelins Philosophie
4 Voegelins Bewusstseinsphilosophie („Anamnesis“ - Teil I)
5 „Was ist politische Realität?“ (Anamnesis - Teil III)
6 Ergebnis: Das Scheitern von Voegelins Bewusstseinsphilosophie
7 Die Schlüsselfrage: Braucht Politik spirituelle Grundlagen?
8 Was bleibt von Eric Voegelin?
9 Literatur

2.3 Quellen und Sekundärliteratur

Dieses Buch beabsichtigt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den wichtigsten bewusstseinsphilosophischen Standpunkten Voegelins, beansprucht aber keinesfalls eine umfassende Darstellung von Voegelins Bewusstseinsphilosophie zu sein. Bewusstseinsphilosophische Überlegungen begleiten Voegelins Schaffen von seinen frühesten Schriften bis zu den spätesten Werken,[11] wobei die Bedeutung der Bewusstseinsphilosophie in Voegelins Werk im Laufe der Zeit immer mehr zunimmt. Dabei geht Voegelins Bewusstseinsphilosophie fließend in seine Geschichtsdeutung und seine politische Theorie über.[12] Eine Vollständigkeit beanspruchende Untersuchung von Voegelins Bewusstseinsphilosophie müsste all diese Zusammenhänge mit berücksichtigen und in hohem Maße auch solche Schriften Voegelins einbeziehen, die nicht im engeren Sinne bewusstseinsphilosophisch genannt werden können.

Aus pragmatischen Gründen beschränkt sich dieses Buch daher auf die Untersuchung von „Anamnesis“, dem einzigen ausdrücklich als bewusstseinsphilosophisch ausgewiesenen größeren Werk, welches Voegelin zu dieser Thematik selbst veröffentlicht hat. Weiterhin werden aus dem Werk „Anamnesis“, das neben bewusstseinsphilosophischen auch eine Reihe von historischen Aufsätzen Voegelins versammelt, nur die im engeren Sinne bewusstseinsphilosophischen Aufsätze berücksichtigt, welche den ersten und dritten Teil dieses Werkes bilden, während der zweite Teil von „Anamnesis“ überwiegend historische Probleme behandelt. Durch die Beschränkung auf „Anamnesis“ bleiben die späteren Entwicklungen von Voegelins Bewusstseinsphilosophie außen vor. So wird Voegelins Auseinandersetzung mit dem Thema „Egophanie“ (Selbstbezogenheit des modernen Menschen im Gegensatz zur Gottbezogenheit), welches in „Order and History IV“ einen so großen Raum einnimmt,[13] nicht näher behandelt. Auch der Komplex der „consciousness-reality-language“ und das „paradox of consciousness“, zwei zentrale Begriffe der letzten, in „Order and History V“ erreichten Entwicklungsstufe seiner Bewusstseinsphilosophie, treten in „Anamnesis“ lediglich in der noch vergleichsweise kruden Form des dort entwickelten vielschichtigen und paradoxen Realitätsbegriffs auf.[14] Trotz dieser Einschränkungen umfasst „Anamnesis“, besonders durch den zeitlichen Abstand der darin aufgenommenen Texte, eine große Spannbreite von Voegelins bewusstseinsphilosophischem Denken und kann daher als durchaus repräsentativ für Voegelins gesamte Bewusstseinsphilosophie angesehen werden. Die Kritik an Voegelin, die in diesem Buch anhand einzelner bewusstseinsphilosophischer Schriften entwickelt wird, ist zu einem großen Teil von grundsätzlicher Art, so dass sie sich leicht auf andere Schriften Voegelins übertragen lässt. Einer allzu großen Fixierung auf bloße Einzelaspekte von Voegelins Bewusstseinsphilosophie wird dadurch entgegengewirkt, dass im ersten Teil des Buches ein Gesamtüberblick über die politische und historische Philosophie Voegelins gegeben wird, in welche die Bewusstseinsphilosophie eingebettet ist.

Die Lage der Sekundärliteratur zu Eric Voegelin und zu seiner Bewusstseinsphilosophie ist nicht in jeder Hinsicht günstig. Zwar gibt es über Eric Voegelin und besonders zu seinem Hauptwerk „Order and History“ schon ein beachtliches Schrifttum,[15] aber gerade zu Voegelins Bewusstseinsphilosophie sind Einzeluntersuchungen noch recht dünn gesät.[16] Hinsichtlich dieser Seite von Voegelins Werk herrscht noch ein Forschungsdefizit, zu dessen Behebung dieses Buch ebenfalls einen Beitrag leisten möchte. Darüber hinaus leidet die Sekundärliteratur zuweilen an einer gewissen Einseitigkeit, die, wie es scheint, dadurch zustande kommt, dass sie zu einem großen Teil von überzeugten Anhängern Voegelins bestritten wird, während die vorhandenden und möglichen Gegner Voegelins ihn offenbar mehr oder weniger ignorieren. Nicht selten wird recht unkritisch das Selbstbild Voegelins, des großen Gelehrten, der in gottvergessener Zeit in den Tiefen der Geschichte auf Wahrheitssuche geht, kolportiert und geradezu eifersüchtig gegen Einwände verteidigt.[17] Freilich ist Voegelin nicht ganz unschuldig daran, dass sein Werk unter die Zeloten gefallen ist, sah er doch selbst in Ansichten, die zu seiner Denkweise im Gegensatz standen, die „Rhetorik deformierter Existenz“ am Werk, und empfahl er einmal sogar, dem „verführerischen Zwang [für den modernen Menschen, E.A.], sich selbst zu deformieren“, mit den kräftigen Worten eines altägyptischen Dichters entgegenzutreten, die da lauten: „Siehe, mein Name wird übel riechen durch dich // mehr als der Gestank von Voegelmist // an Sommertagen, wenn der Himmel heiß ist“.[18] Erst neuerlich sind einige Beiträge erschienen, die sich mit der gebotenen Distanz und zum Teil auch sehr kritisch mit Voegelin auseinandersetzen. Nach wie vor scheint dies aber eher noch die Ausnahme zu sein.[19]

Außer der Sekundärliteratur zu Eric Voegelin wird auch philosophische Literatur zu den Themen, die Voegelin in seinen bewusstseinsphilosophischen Texten anspricht, herangezogen. Hier besteht allerdings die Schwierigkeit, dass es in der Philosophie kein Expertentum gibt, und dass man daher je nachdem, auf welche Schule man zurückgreift, zu einer sehr unterschiedlichen Ansicht des Gegenstandes gelangen kann. In diesem Buch wurden vor allem die Autoren zu Rate gezogen, die auch Voegelin in seinen Schriften anspricht. Dies bereitet für die Untersuchung des ersten Teils von „Anamnesis“ keine Probleme, da klar ist, dass Voegelin sich hier vornehmlich mit der Phänomenologie auseinandersetzt. Schwieriger ist dies jedoch für dritten Teil von „Anamnesis“ zu realisieren, da Voegelin hier wesentlich selbständiger vorgeht. Weiterhin werden solche Autoren mit einbezogen, die von Voegelin zwar nicht immer ausdrücklich erwähnt werden, auf die er sich jedoch stillschweigend zu beziehen scheint.

[11] Vgl. etwa das Kapitel über „Time and Existence“, in: Eric Voegelin: On the Form of the american Mind, Baton Rouge / London 1995, S.23ff.

[12] Besonders deutlich wird dies in der Einleitung zu Order and History I. Vgl. Eric Voegelin: Order and History. Volume One. Israel and Revelation, Baton Rouge / London 1986 (zuerst: 1956), im folgenden zitiert als: Voegelin, Order and History I, S.1-11.

[13] Vgl. Voegelin, Order and History IV, S.260ff.

[14] Vgl. Eric Voegelin: Order and History. Volume Five. In Search of Order, Baton Rouge / London 1987, im folgenden zitiert als: Voegelin, Order and History V, S. 14-18. - Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 304-305.

[15] Vgl. Geoffrey L. Price: Recent International Scholarship on Voegelin and Voegelinian Themes. A Brief Topical Bibliography, in: Stephen A. McKnight / Geoffry L. Price (Hrsg.): International and Interdisciplinary Perspectives on Eric Voegelin, Missouri 1997, S. 189-214. - Eine regelmäßig aktualisierte Bibliographie enthalten die Voegelin-Research News des Eric Voegelin Insitute der Louisiana State University, alcor.concordia.ca/~vorenews/

[16] Eine erschöpfende Darstellung der mittleren Schaffensperiode, einschließlich der Bewusstseinsphilosophie des ersten Teils von Anamnesis liefert Barry Cooper. Vgl. Barry Cooper: Eric Voegelin and the Foundations of Modern Political Science, Columbia and London 1999, S. 161ff. - Für die spätere Schaffensperiode, insbesondere „Order and History V“: Vgl. Michael P. Morrissey: Consciousness and Transcendence. The Theology of Eric Voegelin, Notre Dame 1994, S. 117ff. - Meist wird die Bewusstseinsphilosophie jedoch nur im Rahmen einer anderen Thematik mitbehandelt. Vgl. beispielsweise: Petropulos, William: The Person as `Imago Dei'. Augustine and Max Scheler in Eric Voegelins `Herrschaftslehre' and `The Political Religions', München 1997, S. 35-38.

[17] Deutlich wird dies etwa an den heftigen Reaktionen auf Eugene Webbs maßvolle Voegelin-Kritik. - Vgl. Thomas J. Farrell: The Key Question. A critique of professor Eugene Webbs recently published review essay on Michael Franz's work entitled “Eric Voegelin and the Politics of Spiritual Revolt: The Roots of Modern Ideology“, in: Voegelin Research News, Volume III, No.2, April 1997, auf: alcor.concordia.ca/~vorenews/v-rnIII2.html - Maben W. Poirier: VOEGELIN- A Voice of the Cold War Era ...? A COMMENT on a Eugene Webb review, in: Voegelin Research News, Volume III, No.5, October 1997, auf: alcor.concordia.ca/~vorenews/v-rnIII5.html (Host jeweils: Eric Voegelin Institute, Lousiana State University. Zugriff am: 1.8.2007).

[18] Vgl. Eric Voegelin: Äquivalenz von Erfahrungen und Symbolen in der Geschichte, in: Eric Voegelin: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte, Späte Schriften (Hrsg. von Peter J. Optiz), Stuttgart 1988, S.99-126 (S.105).

[19] Als ein durchaus typisches Beispiel für die Art von Sekundärliteratur, die sich fast nur aus Bestandsaufnahme zusammensetzt, aber so gut wie keine kritische Diskussion enthält, sei hier nur das folgende herausgegriffen: Glenn Hughes (Ed.): The Politics of the Soul. Eric Voegelin on Religious Experience, Lanham / Boulder / New York / Oxford 1999. - Als Beispiele der Voegelin-Kritik seien herausgegriffen: Mit gesellschaftskritischem Akzent: Richard Faber: Der Prometheus-Komplex. Zur Kritik der Politotheologie Eric Voegelins und Hans Blumenbergs, Königshausen 1984. - Ideologiekritisch vor allem gegenüber Voegelins Gnosis-Begriff: Albrecht Kiel: Säkularisierung als Geschichte des Unheils. Die Gleichsetzung von Rationalität und Ordnung mit Katholizität in der Geschichtsphilosophie Eric Voegelins, in: Albrecht Kiel: Gottesstaat und Pax Americana. Zur Politischen Theologie von Carl Schmitt und Eric Voegelin, Cuxhaven und Dartford 1998, S.95-118. - Erhebliche Zweifel an der philologischen Genauigkeit Voegelins meldet Zdravko Planinc an: Zdravko Planinc: The Uses of Plato in Voegelin's Philosophy of Consciousness: Reflections prompted by Voegelin's Lecture, „Structures of Consciousness“, in: Voegelin-Research News, Volume II, No. 3, September 1996, auf: alcor.concordia.ca/~vorenews/v-rnII3.html (Host: Eric Voegelin Institute, Lousiana State University. Zugriff am: 1.8.2007). - Sehr kritisch gegenüber Voegelin: Hans Kelsen: A New Science of Politics. Hans Kelsen's Reply to Eric Voegelin's „New Science of Politics“. A Contribution to the Critique of Ideology (Ed. by Eckhart Arnold), Heusenstamm 2004, im folgenden zitiert als: Kelsen, A New Science of Politics. - Ähnlich Voegelin-kritisch auch: Eckhart Arnold: Eric Voegelin als Schüler Hans Kelsens, erscheint voraussichtlich Wien 2007. - Mit kritischen Akzenten: Michael Henkel: Positivismuskritik und autoritärer Staat. Die Grundlagendebatte in der Weimarer Staatsrechtslehre und Eric Voegelins Weg zu einer neuen Wissenschaft der Politik (bis 1938), München 2005.

t g+ f @