Religiöses Bewusstsein und Politische Ordnung. Eine Kritik von Eric Voegelins Bewusstseinsphilosophie

Eckhart Arnold

1 Vorwort zur Buchausgabe
2 Einleitung
    2.1 Thema
    2.2 Methode
    2.3 Quellen und Sekundärliteratur
    2.4 Aufbau
3 Die Grundzüge von Voegelins Philosophie
4 Voegelins Bewusstseinsphilosophie („Anamnesis“ - Teil I)
5 „Was ist politische Realität?“ (Anamnesis - Teil III)
6 Ergebnis: Das Scheitern von Voegelins Bewusstseinsphilosophie
7 Die Schlüsselfrage: Braucht Politik spirituelle Grundlagen?
8 Was bleibt von Eric Voegelin?
9 Literatur

2.2 Methode

Die Untersuchungsmethode, die in diesem Buch angewandt wird, ist die einer rationalen Rekonstruktion, d.h. es wird versucht, anhand einzelner Texte Voegelins dessen Thesen zu rekonstruieren und ihre Begründung kritisch zu prüfen. Nur am Rande wird dagegen auf philologische und historische Fragen eingegangen wie die, welche Entwicklung Voegelins Begriffe innerhalb seines Werkes durchgemacht haben, durch welche Philosophen er geprägt wurde oder welche zeitgeschichtlichen Umstände auf sein Denken Einfluss genommen haben. Im Vordergrund steht stattdessen die Frage der Gültigkeit von Voegelins Theorie.

Gegen eine derartige Herangehensweise sind von zwei gegensätzlichen Richtungen her Einwände denkbar. Einerseits könnte eingewandt werden, dass Voegelin heutzutage keineswegs mehr aktuell und eine theoretische Auseinandersetzung mit seinen Gedanken daher nicht mehr von Interesse sei. Andererseits könnte gegen die Methode der rationalen Rekonstruktion und Kritik der Vorwurf erhoben werden, dass sie, da einem positivistischen Wissenschaftsideal verpflichtet, dem Denken Voegelins nicht gerecht werden könne.

Der erste Einwand ließe sich dahingehend weiter ausführen, dass Voegelin als ein typischer Vertreter der Epoche des kalten Krieges inzwischen nurmehr eine historische Erscheinung sei.[9] Wenn man heute einen politischen Romantiker wie, um ein beliebiges Beispiel zu wählen, Konstantin Frantz analysierte, so würde man auch keine Zeit damit verschwenden, seine weltfremden Träumereien von einem christlichen Europa zu widerlegen, sondern ihn von vornherein nur unter einer rein geistes- oder zeitgeschichtlichen Perspektive, also gewissermaßen als ein historisches Kuriosum betrachten. Werden derartige Vorbehalte gegen Voegelin auch selten offen geäußert, so liegen sie doch in der Luft und bilden auch unausgesprochen einen der Gründe, weshalb Voegelin heutzutage - trotz des jüngst neuerwachten Interesses - im Ganzen eher in Vergessenheit geraten ist. Sollte sich aber Voegelins Theorie auch als gänzlich unhaltbar erweisen, so scheint mir eine Auseinandersetzung mit Voegelin auf der Sachebene dennoch lohnend, weil Voegelins Theorie als ein bestimmter Ansatz quasi-religiöser Politikbegründung eine geistige Möglichkeit repräsentiert, die unabhängig davon, ob sie gerade in Mode ist oder nicht, aus grundsätzlichem Interesse der Untersuchung wert ist. Im übrigen können auch bei politikphilosophischen Grundsatzdiskussionen Stimmungsumschwünge eintreten, die das, was noch wenige Jahrzehnte zuvor als abwegig galt, auf einmal wieder naheliegend und vertretbar erscheinen lassen. Dies gilt umso mehr, als auch die abstruseste Philosophie zur Grundlage politischen Handelns und politischer Ordnung gemacht werden kann. Und wenn einmal eine obskure Philosophie gesellschaftlich wirksam geworden ist, so bleibt der bloße Hinweis auf ihre Abstrusität ohnmächtig, da diese Philosophie dem Empfinden der meisten Menschen dann ganz natürlich erscheint.

Dem zweiten Einwand liegt die Frage zu Grunde, ob die Methode der rationalen Rekonstruktion für eine Untersuchung von Voegelins Werk angemessen ist. Voegelin wünschte sich von seinen Lesern eine ganz bestimmte Lesehaltung, die weniger durch eine kritisch-rationale Einstellung als durch den meditativen Nachvollzug seiner Gedanken bestimmt sein sollte, denn er glaubte, eine besondere Art von Wissenschaft zu verfertigen, bei der es gerade nicht auf das Aufstellen von Thesen und das kritische Abwägen von Argumenten ankommt. Aber zugleich beanspruchte Voegelin, mit seinen Schriften die theoretischen Grundlagen politischer Ordnung zu bestimmen. Ob diese Grundlagen tragfähig sind, lässt sich jedoch nur überprüfen, indem man sie rational analysiert. Die Rechtfertigung für meine, dem Denken Voegelins vielleicht etwas fremde, analytische Herangehensweise liegt also in Voegelins eigener Zielvorgabe, die geistigen Grundlagen guter politischer Ordnung zu finden. Da eine politische Ordnung für jeden, der in ihr lebt, verbindliche Geltung haben soll, so muss ihre Begründung auch intersubjektiv nachvollziehbar sein. Übrigens nahm Voegelin für seine Art von Politikwissenschaft in Anspruch, dass sie rationale Wissenschaft sei. Aber dies beruht, wie noch zu zeigen sein wird,[10] auf einer willkürlichen Umdeutung des Begriffes der Rationalität.

Anders, als sich dies für die Methode der rationalen Rekonstruktion eigentlich empfiehlt, erfolgt die Darstellung von Voegelins bewusstseinsphilosophischen Schriften nicht durch eine Zuspitzung von Voegelins Aussagen zu einzelnen Thesen, sondern in der Form einer Wiedergabe seines Gedankenganges. Der Grund hierfür besteht darin, dass Voegelins Texte in hohem Maße einem erzählerischen Stilprinzip verpflichtet sind und sich daher gegen eine Zuspitzung zu einzelnen klaren Thesen sträuben. Eine Zusammenfassung in Thesen würde deshalb bereits ein sehr hohes Maß von Interpretation in Voegelins Texte hineintragen, so dass nicht mehr leicht zu erkennen wäre, wie die Thesen aus Voegelins Worten entnommen worden sind. Aus diesem Grund wird der Inhalt eines jeden untersuchten Textes zunächst ausführlich mit eigenen Worten wiedergegeben, so dass sich meine Interpretation leicht nachvollziehen lässt. Unmittelbar an die Darstellung eines jeden Textes oder auch einzelner Textpassagen schließt sich eine eingehende Kritik dieser Textpassagen an. Mag dieses Verfahren der intermittierenden Kritik auch einen Eindruck von Voreiligkeit und Nicht-ausreden-lassen-wollen erwecken, so ist es doch dadurch gerechtfertigt, dass die untersuchten Texte bezüglich ihrer Entstehungszeit teilweise recht weit auseinanderliegen und dementsprechend unterschiedliche Fragen aufwerfen. Außerdem lässt sich eine ins Einzelne gehende Kritik nur schwer an eine umfassende Darstellung anschließen, nach welcher den Lesern und Leserinnen nur noch die groben Züge des Gedankenganges im Gedächtnis geblieben sind. Eine Detail-Untersuchung ist aber beabsichtigt, denn der Wert einer Philosophie entscheidet sich meiner Ansicht nach weniger an den großen Linien der ihr zu Grunde liegenden metaphysischen Weltauffassung als an der Qualität ihrer Durchführung im Detail.

[9] Dies deutet mit Vorsicht Eugene Webb an. Vgl. Eugene Webb: Review of Michael Franz, Eric Voegelin and the Politics of Spiritual Revolt: The Roots of Modern Ideology, in: Voegelin Research News, Volume III, No. 1, February 1997, auf: alcor.concordia.ca/~vorenews/v-rnIII2.html (Host: Eric Voegelin Institute, Lousiana State University. Zugriff am: 1.8.2007), im folgenden zitiert als Webb, Review.

[10] Siehe dazu Seite 5.2.2, besonders Fußnote 241, sowie grundsätzlich zu Voegelins Sprachgebrauch Kapitel 5.5.

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