Religiöses Bewusstsein und Politische Ordnung. Eine Kritik von Eric Voegelins Bewusstseinsphilosophie |
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Die Frage der Aktualität von Voegelins Ordnungsentwurf bedarf keiner langen Erörterungen, da die Antwort hierauf eindeutig ausfällt, und sie sich auch in der wissenschaftlichen Voegelin-Debatte mehr und mehr durchzusetzen scheint.[432] Voegelins Vorstellung von politischer Ordnung ist in hohem Maße bedingt und beeinflusst durch das Zeitalter der Ideologien und des Totalitarismus, in welchem sie entstanden ist. Voegelin hatte selbst vor dem Nationalsozialismus fliehen müssen. Nicht minder gegenwärtig waren ihm die Verbrechen der kommunistischen Regime und die Menschheitsbedrohung durch das atomare Wettrüsten. Unter solchen Bedingungen kann ein Gefühl von Sicherheit nur schwer aufkommen, und dies erklärt zum Teil Voegelins polemischen Eifer, welcher sich womöglich einem Gefühl der Dringlichkeit verdankt, das nach dem Ende des kalten Krieges nicht mehr unmittelbar verständlich wirkt. Die Zeitumstände erklären auch einiges von dem, was man die metaphysische Überhöhung des Politischen bei Voegelin nennen könnte. Aus heutiger Sicht mag es sehr befremdlich und unwissenschaftlich wirken, die metaphysische Kategorie des Bösen in die Politikwissenschaft einführen zu wollen.[433] Aber um mit einer Erscheinung wie dem Nationalsozialismus fertig zu werden erscheint dieser Versuch, wiewohl wissenschaftlich fragwürdig, doch nicht ganz unverständlich. Vor dem zeithistorischen Hintergrund ist es daher sehr wohl nachvollziehbar, dass Voegelin sich nicht auf die Frage beschränkte, welches die geeignetsten politischen Institutionen für einen guten Staat sind, sondern dem Übel an die Wurzel gehen wollte und nach den metaphysischen Bedingungen wahrer politischer Ordnung fragte.
Indes leben wir heute mit einer liberalen politischen Ordnung, die seit über fünfzig Jahren stabil ist, und die auch keine Risse aufzuweisen scheint, obwohl sich die Gesellschaft gegenüber den Fünfziger Jahren gewiss noch weiter säkularisiert hat, was Voegelins Grundthesen über die Ursachen politischer Unordnung doch sehr zweifelhaft erscheinen lässt. Dazu vermitteln Voegelins Äußerungen über politische Ordnung nicht selten den Eindruck, dass es Voegelin weit eher darauf ankam, eine wahre politische Ordnung (nach den Maßstäben seiner privatreligiösen Überzeugungen) zu finden als eine im moralischen und pragmatischen Sinne gute politische Ordnung. Als recht gravierend fällt dabei ins Gewicht, dass Voegelin in seinem metaphysischen Eifer oft hart an der Grenze zum religiösen Fanatismus operiert. Seine Suche nach der wahren Ordnung beschwört dadurch die „entgegengesetzte Gefahr“ (John H. Herz[434] ) der religiösen und weltanschaulichen Intoleranz herauf. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist uns heutzutage bei der Suche nach guter politischer Ordnung mit etwas „altmodischem Liberalismus“ weitaus besser gedient als mit Voegelins metaphysischen Rezepturen.
[432] Vgl. Webb, Review, a.a.O.
[433] Vgl. Voegelin, Eric: Die politischen Religionen, München 1996 (zuerst 1938).
[434] Vgl. John H. Herz: Politischer Realismus und politischer Idealismus. Eine Untersuchung von Theorie und Wirklichkeit, Meisenheim am Glan 1959. Mit der „entgegengesetzten Gefahr“ bezeichnet Herz die besonders dem politischen Idealismus inhärente Gefahr bei der Bekämpfung politischer Missstände durch das Mittel der Bekämpfung genau den entgegengesetzten Missstand herbeizuführen. (Beispiel: Die Bekämpfung des kapitalistischen Ausbeutungssystems mündet in die kommunistische Diktatur.)