Die Bewußtseinsphilosophie Eric Voegelins (als Grundlage politischer Ordnung) |
| Inhalt |
Die Beziehung zwischen Erfahrung und Ordnung stellt sich bei Voegelin in der Weise dar, daß die spirituelle Erfahrung die Quelle der politischen Ordnung ist. Man könnte etwas überspitzt sagen, daß bei Voegelin die Erfahrung die Basis bildet, während die politischen Ideen und Institutionen den Überbau verkörpern, wobei Voegelin allerdings nicht gänzlich leugnet, daß es auf der Ebene pragmatischer Politik auch Probleme gibt, deren Lösung weitgehend unabhängig von dem ist, was sich auf der spirituellen Basis-Ebene abspielt. Ordnung existiert dabei auf insgesamt drei Ebenen: als Ordnung des Seins, als Ordnung der Seele und als Ordnung der Gesellschaft.[44] Die Reihenfolge dieser Ordnungen ist nicht umkehrbar: Zunächst existiert die Ordnung des Seins. Diese wird vom Menschen erfahren und verleiht ihm dadurch eine Ordnung der Seele, welche sich wiederum auf die Ordnung der Gesellschaft auswirkt. Voegelin scheint es für ausgeschlossen zu halten, daß es zu diesem Weg, eine Ordnung der Seele und eine Ordnung der Gesellschaft zu erlangen, eine legitime Alternative gibt.[45] Es handelt sich dabei um einen der vielen dogmatischen Grundsätze von Voegelins Theorie, die er voraussetzt aber niemals begründet.
Die Ordnungserfahrungen unterschiedlicher Kulturen sind nun allerdings häufig höchst gegensätzlich beschaffen und stehen oft in unvereinbarem Gegensatz zueinander.[46] Voegelin hält es dennoch für möglich, politische Ordnungen nach ihrer Wertigkeit zu unterscheiden.[47] Maßstab hierfür sind nicht irgendwelche moralischen Ideale, etwa Humanität oder Gerechtigkeit, sondern die spirituelle Erfahrung selbst. Hieraus ergibt sich die normative Zielsetzung. Um zur normativ richtigen politischen Ordnung zu gelangen, ist es erforderlich, eine spirituelle Empfindsamkeit auf höchstem Niveau zu kultivieren, was Voegelin in Anlehnung an Henri Bergson als das „Öffnen der Seele“ bezeichnet.[48] Dieses „Öffnen der Seele“ ermöglicht es, die Ordnung des Seins angemessen zu erfahren und dadurch einen „autoritativ“ gültigen Maßstab für die richtige politische Ordnung zu gewinnen.[49]
|
[44] Als viertes müßte noch die „Ordnung der Geschichte“ hinzugefügt werden, die in der Regel allerdings keine Voraussetzung der politischen Ordnung einer Gesellschaft darstellt (außer m.E. im Falle sich selbst primär geschichtlich legitimierender Gesellschaften), sondern sich umgekehrt aus der Abfolge politischer Ordnungen in der Geschichte ergibt.
[45] Vgl. Voegelin, Anamnesis, S.349. - In der „Neuen Wissenschaft der Politik“ geht Voegelin noch nicht ganz so weit. Seine überwiegend positive Bewertung der Trennung von Staat und Kirche sowie seine weitgehend befürwortende Besprechung von Hobbes legen nahe, daß sich Voegelin des möglichen Gegensatzes zwischen spiritueller Wahrheit und pragmatischer Notwendigkeit hier noch einigermaßen bewußt war, so daß als Ideallösung auch ein Kompromiß zwischen beiden angesehen werden könnte. Vgl. Voegelin, Neue Wissenschaft der Politik, S.211-223.
[46] Vgl. Voegelin, Neue Wissenschaft der Politik, S.86-90.
[47] Vgl. Voegelin, Neue Wissenschaft der Politik, S.91.
[48] Vgl. Henri Bergson: Die beiden Quellen der Moral und der Religion, Olten 1980, S.33-36. Bei Voegelin wird das „Öffnen der Seele“ im Gegensatz zu Bergson jedoch eher sensitiv als schöpferisch gedacht.
[49] Vgl. Voegelin, Order and History II, S.6/7.
|