Die Bewußtseinsphilosophie Eric Voegelins (als Grundlage politischer Ordnung)

Eckhart Arnold

1 Einleitung
2 Die Grundzüge von Voegelins Philosophie
3 Voegelins Bewußtseinsphilosophie
    3.1 Voegelin über Husserls „Krisis der europäischen Wissenschaften“
    3.2 „Zur Theorie des Bewußtseins“
        3.2.1 Voegelins Schrift „Zur Theorie des Bewußtseins“
        3.2.2 Kritik von Voegelins Theorie des Bewußtseins
    3.3 Die „anamnetischen Experimente“ Voegelins
    3.4 „Was ist politische Realität?“
    3.5 Ergebnis: Das Scheitern von Voegelins Bewußtseinsphilosophie
4 Braucht Politik spirituelle Grundlagen?
5 Schlußwort: Was bleibt von Eric Voegelin?
6 Literatur

3.2 „Zur Theorie des Bewußtseins“

3.2.1 Voegelins Schrift „Zur Theorie des Bewußtseins“

In seinem Aufsatz „Zur Theorie des Bewußtseins“[147] legt sich Voegelin Rechenschaft über seinen eigenen philosophische Standpunkt ab. Einleitend erklärt Voegelin, daß seine Aufzeichnungen die Ergebnisse anamnetischer Experimente enthielten, doch bezieht sich dies wohl eher auf die auf diesen Aufsatz folgenden Berichte von Kindheitserinnerungen, der Aufsatz selbst zumindest besteht weit überwiegend aus theoretischer Diskussion.

Es fällt nicht leicht, die Thematik dieses Aufsatzes zu beschreiben, denn Voegelin reißt darin viele verschiedene Themen an. Den Hauptthemenschwerpunkt bildet eine Beschreibung der Struktur des Bewußtseins, seiner Beziehung zur Welt und eine Diskussion der Möglichkeiten des Bewußtseins dasjenige, was außerhalb des Bewußtseins liegt, zu erfahren und zu beschreiben. Daneben skizziert Voegelin umrißhaft eine ontologische Theorie und schließlich versucht Voegelin, nachdem er der Ontologie das Primat vor der Bewußtseinsphilosophie eingeräumt hat, das Auftreten der von ihm für falsch oder zu einseitig gehaltenen Bewußtseinsphilosophien historisch und wissenssoziologisch zu erklären.

Den Ausgangpunkt für Voegelins Überlegungen bildet eine Kritik der Theorien des Bewußtseins, die die Bewußtseinsstrommetapher in den Mittelpunkt ihrer Beschreibung stellen. Voegelin hält dies für eine falsche Akzentuierung: Zwar strömt das Bewußtsein auch, aber das Strömen ist weder der wesentliche noch ein alle anderen Bewußtseinsleistungen bedingender Faktor im Bewußtsein. Vor allem tritt das Strömen nur bei bestimmten Bewußtseinsvorgängen zu Tage wie etwa beim Hören von Tönen. Bei anderen Bewußtseinstätigkeiten - Voegelin beschreibt als Beispiel die inneren Vorgänge beim Betrachten eines Gemäldes - läßt sich das Strömen des Bewußtseins nur erfassen, wenn die Aufmerksamkeit von der Hauptsache abgelenkt wird. Voegelin betrachtet es daher als eine Spekulation, wenn der Bewußtseinsstrom als die Grundform aller Bewußtseinsvorgänge aufgefaßt wird.[148]

Nach Voegelins eigener Vorstellung vom Aufbau des Bewußtseins ist das Bewußtsein nicht durch zeitliches Fließen sondern thematisch durch Aufmerksamkeitszuwendung und -abwendung strukturiert. Voegelin nimmt an, daß es im Bewußtsein ein Aufmerksamkeitsquantum von nicht genau bestimmter aber beschränkter Größe gibt, welches verschiedenen Bereichen des Bewußtseins in mehr oder weniger starker Konzentration zugewandt werden kann. Im Bewußtsein gibt es nun zwei besonders ausgezeichnete Bereiche, Voegelin nennt sie „Erhellungsdimensionen“, denen bestimmte Formen der Aufmerksamkeitszuwendung, „Erinnerung“ und „Projektion“, entsprechen. Diese beiden Erhellungsdimensionen bezeichnet Voegelin daher passenderweise als „Vergangenheit“ und „Zukunft“. Aus dem Zusammenspiel von Aufmerksamkeitszuwendung und den Erhellungsdimensionen „Vergangenheit“ und „Zukunft“ leitet sich die Vorstellung der (inneren wie äußeren) Zeit ab. Voegelin vertritt also, wie es scheint, eine idealistische Auffassung der Zeit, die derjenigen nicht unähnlich ist, die Augustinus als erster in den „Bekenntnissen“ dargelegt hat.[149] Da das Bewußtsein insgesamt endlich ist, so ist auch die Zeitvorstellung aus einem endlichen Vorgang abgeleitet. Dieser Vorgang ist der einzige Prozeß, von dem wir eine innere Erfahrung haben. Voegelin behauptet, daß dadurch der Bewußtseinsprozeß „zum Modell des Prozesses überhaupt“[150] wird, und daß all unsere Begriffe von Prozessen nur von diesem einzigen uns zur Verfügung stehenden Modell abgezogen sind.[151] Infolge der Endlichkeit dieses Modells entstehen Ausdruckskonflikte bei der Beschreibung unendlicher Prozesse, wie sie außerhalb des Bewußtseins gelegentlich vorkommen können. Von diesen Ausdruckskonflikten rühren nach Voegelins Überzeugung auch die Kantischen Antinomien und die Paradoxe der Mengenlehre her.[152] Um unendliche Prozesse, die zwar erfahren bzw. erahnt aber nicht widerspruchsfrei beschrieben werden können, überhaupt in irgendeiner Weise zu artikulieren, ist es erforderlich, sich der geheimnisvollen Ausdrucksweise der Mythensymbolik zu bedienen. Den Begriff „Mythensymbol“ definiert Voegelin als ein „finites Symbol, das für einen transfiniten Prozeß `transparent' sein soll.“[153] Eine genauere Eingrenzung, welches die unendlichen Prozesse sind, die des Ausdruckes durch die Mythensymbolik bedürfen, gibt Voegelin nicht an. Seine Beispiele legen nahe, daß es sich dabei um die Gegenstände handelt, die die Religion zum welttranszendenten Bereich rechnet. Als Beispiele dieses Gebrauchs der Mythensymbolik führt Voegelin einige allegorische Deutungen bekannter Mythensymbole an. So vermittelt etwa die unbefleckte Empfängnis „die Erfahrung eines transfiniten geistigen Anfangs“[154] . Voegelin versäumt es leider zu klären, wie ein transfiniter geistiger Anfang Gegenstand der Erfahrung werden kann, und ob es jemals einen Menschen gegeben hat, der etwas derartiges tatsächlich erfahren hat.

Ein größeres Problem im Zusammenhang mit der Mythensymbolik stellt die Frage der Adäquatheit des Mythos dar. Wenn der Mythos die Erfahrung von etwas Unendlichem ausdrückt, so kann er diese Erfahrung natürlich auch unangemessen oder falsch ausdrücken. Voegelin erläutert dieses Problem am Beispiel zweier von Platon erzählter Mythen. Hier fällt die Entscheidung leicht, da Platon selbst mitgeteilt hat, welchen Mythos er für den „richtigeren“ hält. Ein allgemeines Kriterium für die Adäquatheit gibt Voegelin nicht an.[155]

Im Zusammenhang mit der Mythensymbolik kommt Voegelin auch auf das Husserlsche Problem der „Konstitution der Intersubjektivität“ zu sprechen.[156] Dahinter verbirgt sich die Frage, woraus hervorgeht, daß die Menschen außerhalb des eigenen Bewußtseins eigene Wesen mit einem eigenen Bewußtsein sind. Im philosophischen Gedankenexperiment ist es möglich, sich vorzustellen, daß die anderen Menschen - so wie Gestalten im Traume - nur Hirngespinste des eigenen Bewußtseins sind, oder daß sie „Zombies“ sind, die körperlich und von ihrem Verhalten her Menschen gleichen, in deren Gehirnen jedoch kein Bewußtsein lebt. Edmund Husserl hat zu zeigen versucht, daß das Ich bestimmte Objekte des Erfahrungsfeldes als „alter ego“ konstituieren kann.[157] Voegelin hält dies für ein reines Verwirrspiel. Seiner Ansicht nach existiert dieses philosophische Problem gar nicht, sondern es ist ein Faktum, daß das Bewußtsein die anderen Menschen als „Nebenbewußtsein“[158] erfährt. Übrig bleibt nur ein eher moralphilosophisches Problem, welches darin besteht, dieses „Erfahrungsfaktum“[159] so zum Ausdruck zu bringen, daß die Mitmenschen als gleichartig anerkannt werden können. Zur Behandlung dieses Problems greift Voegelin auf die Mythengeschichte zurück. Es ist nicht ganz klar, warum Voegelin es für notwendig erachtet, die Lösung im Rahmen der Mythensymbolik zu suchen. Bei den anderen Menschen handelt es sich schließlich auch nur um endliche Wesen, weshalb der zuvor beschriebene Ausdruckskonflikt nicht zum Tragen kommt. Zudem sind die anderen Menschen nicht welttranszendent, sondern nur in dem trivialen Sinne bewußtseinstranszendent, in dem auch Tiere und tote Gegenstände bewußtseinstranszendent sind. Vielleicht hofft Voegelin, daß die alten Mythenweisheiten sich in dieser Frage als besonders überzeugend erweisen. Die Unerläßlichkeit der Mythensymbolik beim Ausdruck unendlicher oder welttranszendenter Vorgänge schließt ja noch nicht aus, daß die Mythensymbolik auch für andere Zwecke brauchbar ist. Der Mythengeschichte entnimmt Voegelin nun, daß alle bisherigen Gleichheitsideen historisch auf die beiden Mythen der Abstammung aller Menschen von einer Mutter oder der geistigen Prägung durch ein und denselben Vater (Gottesebenbildlichkeit) zurückgeführt werden können.[160] In diesem Zusammenhang stellt Voegelin die kühne Behauptung auf, daß die erkenntnistheoretischen Probleme der Intersubjektivität nur innerhalb dieses mythischen Rahmens behandelbar sind.[161] Im folgenden geht Voegelin dann zu einem kleinen Exkurs über einige mythengeschichtliche Einzelprobleme des Konfliktes zwischen Gleichheits- und Gemeinschaftsmythen über.[162] Diese Ausführungen sind für seine philosophische Argumentation allerdings nicht mehr von wesentlicher Bedeutung.

Um angemessen über Dinge und Zusammenhänge reden zu können, die mehr sind als bloß Gegenstände endlicher, innerweltlicher Erfahrung, existiert für Voegelin neben der Mythensymbolik noch eine philosophisch-begriffliche Alternative in Form der Prozeßtheologie. Sie beschreibt „die Beziehungen zwischen dem Bewußtsein, den bewußtseinstranszendenten innerweltlichen Seinsklassen und dem welttranszendenten Seinsgrund“[163] . Dieser Aufgabe ist die Prozeßtheologie im Gegensatz zu anderen Ansätzen innerhalb der Metaphysik deshalb gewachsen, „weil in ihr zumindest der Versuch gemacht wird, die bewußtseinstranszendente Weltordnung in einer `verstehbaren' Sprache zu interpretieren“, nämlich in einer Sprache, die an „der einzig `von innen' zugänglichen Erfahrung des Bewußtseinsprozesses“[164] orientiert ist. Wie dies mit der vorherigen Behauptung zu vereinbaren ist, daß gerade dieses Modell zum Ausdruck der Erfahrung transfiniter Wirklichkeit eher untauglich sei, enthüllt Voegelin nicht.[165] Die Prozeßtheologie stützt sich auf zwei „Erfahrungskomplexe“: Zum einen stützt sie sich auf die „Erfahrung“, daß die Welt aus mehreren wesensverschiedenen aber dennoch voneinander abhängigen Seinsstufen aufgebaut ist, und zum anderen basiert sie auf der in der Meditation zugänglichen Erfahrung des „welttranszendenten Seinsgrundes“. Werden diese beiden Erfahrungen kombiniert, so ergibt sich aus der Erfahrung der Abhängigkeit der Seinsstufen voneinander die „Nötigung“, sie als Phasen eines Prozesses der Entfaltung einer identischen Substanz zu betrachten, welcher - hier kommt die meditative Erfahrung ins Spiel - im welttranszendenten Seinsgrund seinen Ursprung hat. Da die Prozeßtheologie unmittelbar auf „ontologischen Erfahrungen“ beruht, entzieht sie sich auch den ansonsten naheliegenden erkenntnistheoretischen Einwänden Kantischer Provenienz, wonach es unzulässig ist, Kategorien der innerweltlichen Erfahrung auf das anzuwenden, was außerhalb aller möglichen Erfahrung liegt.[166]

Auf der Grundlage dieser ontologischen Stufentheorie vollzieht Voegelin nun den Übergang vom Primat der Bewußtseinsphilosophie zum Primat der Ontologie.[167] Zunächst geht Voegelin jedoch zum Ausgangspunkt seiner bewußtseinsphilosophischen Überlegungen zurück. Wenn das Bewußtsein durch die „Erhellungsdimensionen“ der „Vergangenheit“ und „Zukunft“ strukturiert ist und Zeit als solche dem Bewußtsein nicht unmittelbar gegeben ist, so kann bezweifelt werden, daß zwischen diesen Erhellungsdimensionen die zeitliche Beziehung der Sukzession besteht. Das Element der Zeitlichkeit läßt sich aus diesen Erhellungsdimensionen deshalb nicht ableiten,[168] weil es auch vorstellbar ist, daß Erinnerungen und Projektionen nur Phantasien eines im Augenblickspunkt der Gegenwart verharrenden Bewußtseins sind. Wie kann man aber einem solchen „Solipsismus des Augenblickes“[169] entgehen? Der einzige Ausweg besteht für Voegelin in der „Einsicht, daß das menschliche Bewußtsein nicht eine Monade ist, welche die Existenzform des Augenblicksbildes hat, sondern daß es menschliches Bewußtsein ist, d.h. Bewußtsein im Fundament des Leibes und der Außenwelt.“[170] Voegelin spricht hier zwar von einer „Einsicht“, aber diese Einsicht hat eher den Charakter eines Postulates, denn, nachdem Voegelin einmal beim Solipsismus des Augenblickes angelangt ist, gibt es nichts mehr, woraus das Sein der Zeit und der Welt mit Gewißheit oder auch nur Wahrscheinlichkeit erschlossen werden könnte.

Unter dem Gesichtspunkt dieser ontologischen Einsicht ist auch der Begriff des Bewußtseinsprozesses neu zu deuten. Damit wir die Bewußtseinsvorgänge als zeitlichen Prozeß auffassen können, sind „Erfahrungen von bewußtseinstranszendenten Prozessen“[171] erforderlich. Wie dies möglich ist, wenn, wie Voegelin zuvor kategorisch behauptet hat, der innere Bewußtseinsprozeß seinerseits das einzige Modell darstellt, mit dem wir bewußtseinstranszendente Prozesse verstehen können,[172] bleibt etwas im Dunkeln. Voegelin scheint von einer Art wechselseitiger Abhängigkeit zwischen Sein und Bewußtsein auszugehen, wenn er im folgenden einerseits die physische Bedingtheit des Bewußtseins betont, zugleich aber der idealistischen Ansicht Raum gibt, daß das Sein der Dinge von der Beziehung auf ein Bewußtsein abhängig ist. Es läßt sich nicht leicht feststellen, auf welche Weise Voegelin bei dieser Argumentation einem Zirkelschluß entgehen will. Wahrscheinlich zu Recht weist Voegelin jedenfalls darauf hin, daß daraus, daß das Bewußtsein uns in innerer Erfahrung nur als reines Bewußtsein gegeben ist, nicht folgt, daß es nichts anderes als reines Bewußtsein ist. Vielmehr liefert nach Voegelins Überzeugung die innere Erfahrung nur eine Teilansicht eines untrennbaren materiell-geistigen Seinskomplexes. In der inneren wie der äußeren Erfahrung bekommt der Mensch jeweils nur den äußersten Zipfel eines Seins zu fassen, das sich weit über das in der Erfahrung Gegebene hinaus erstreckt.[173]

Aus all diesen Überlegungen zieht Voegelin die Schlußfolgerung, daß die Bewußtseinsphilosophie keinen geeigneten Anfangspunkt der Philosophie darstellt. Das Bewußtsein setzt vielmehr das Sein voraus und die Frage des Anfanges kann nun immer weiter zurückgeschoben werden bis zur Frage des Anfangs der Geschichte des Kosmos. Offenbar trennt Voegelin nicht zwischen der Frage des erkenntnistheoretischen Ausgangspunktes und der Frage der historischen Seinsvoraussetzungen des Erkenntnisvermögens. Das Problem eines absoluten Anfanges der Philosophie wird Voegelin noch in „Order and History V“ beschäftigen.[174] Vorerst gelangt Voegelin zu dem Ergebnis, daß das Bewußtsein auf Grund dieser nie vollständig aufklärbaren Anfangsvoraussetzungen nicht wie äußere Gegenstände erkannt und beschrieben werden kann, sondern daß es lediglich durch Besinnung sich selbst und sein eigenes Sein erhellen kann.[175]

Als letztes Thema dieses Aufsatzes behandelt Voegelin die wissenssoziologische Frage, wie es zu dem Auftreten der seiner Ansicht nach verfehlten Bewußtseinsphilosophien kommen konnte. Voegelin liefert eine solche Erklärung an zwei Stellen seines Aufsatzes. Die erste Erklärung bezieht sich auf den speziellen Fall der Bewußtseinsstromtheorien, die zweite Erklärung betrifft die Bewußtseinsphilosophie im Allgemeinen.

In den Bewußtseinsstromtheorien glaubt Voegelin ein „laizistisches Residuum der christlichen Existenzvergewisserung in der Meditation“[176] wiederentdecken zu können. Vermutlich auf Grund von einfühlendem Nachvollzug gelangt Voegelin zu der Auffassung, daß im Bewußtseinserlebnis des „Strömens“ der „Engpaß des Leibes spürbar wird“.[177] Voegelin schließt daraus, daß die Bewußtseinsstromtheorien ebenso wie die christliche Meditation auf eine Form der Transzendenz zielen. Während die Meditierenden in der christlichen Meditation jedoch Welttranszendenz suchen, zielen die Bewußtseinsstromtheorien lediglich auf die bloße Bewußtseinstranszendenz in Richtung der Leibsphäre hin.[178]

In einem etwas allgemeineren Rahmen stellt das Auftreten der Bewußtseinsphilosophie für Voegelin die Reaktion auf eine Krise der Symbole dar, wie sie alle Kulturen von Zeit zu Zeit heimsucht. Die Symbole, mit denen die Menschen ihre Transzendenzerfahrungen ausdrücken, tendieren dazu, im Laufe der Zeit schal und inhaltsleer zu werden. Die daraus resultierende Kulturkrise kann nur durch die Beseitigung der alten und die Bildung neuer Symbole zum Ausdruck der Transzendenzerfahrungen behoben werden. Platon war dies als Antwort auf die Krisis der hellenischen Kultur im 5.Jahrhundert vor Christus in vorbildlicher Weise gelungen. Die neuzeitliche Philosophie, die mit Descartes ihren Anfang nimmt, stand nach Voegelins Ansicht vor einer ähnlichen Aufgabe, doch hat sie ihr Ziel verfehlt, indem sie zwar mit der Tradition gründlich aufräumte aber zugleich auch die Transzendenzerfahrungen aus dem Themenkanon der Philosophie ausschloß.[179]

[147] Eric Voegelin: „Zur Theorie des Bewußtseins“, in: Voegelin, Anamnesis, S.37-60.

[148] Vgl. Voegelin, Anamnesis, S.37-43.

[149] Aurelius Augustinus: Bekenntnisse, Stuttgart 1998, S.312-330 (Elftes Buch. XIII.15 - XXVIII.38). Man könnte geneigt sein, gegen die Logik dieser Art von Zeittheorien einzuwenden, daß die Vorgänge innerhalb des Bewußtseins, aus denen die Zeit hervorgeht, doch schon die Zeit als solche voraussetzen. Aber in der Tat setzen sie höchstens bestimmte (zeitliche) Relationen voraus. (Voegelin scheint diese Kritik jedoch ernst zu nehmen, denn er bringt sie etwas später als Selbsteinwand vor; vgl. Voegelin, Anamnesis, S.54/55.) Die idealistischen Zeittheorien scheitern aus einem anderen Grund: Wenn die Zeit ausschließlich eine Form oder Leistung des Bewußtseins ist, so ist nicht erklärlich, wie die Kommunikation zwischen Bewußtseinen (alias Menschen) zeitlich aufeinander abgestimmt erfolgen kann, da die Botschaften des einen an das andere Bewußtsein doch durch eine äußere Welt hindurch müssen, in der die Zeitrelationen, die der idealistischen Annahme zufolge reine Bewußtseinsprodukte sind, verloren gehen müßten. (Das Argument stammt aus: Russel, History of Western Philosophy, S.689.)

[150] Voegelin, Anamnesis, S.44.

[151] Später scheint Voegelin genau das Gegenteil zu behaupten: „... die Ordnung des Augenblicksbildes in der Dimension, die durch die Erhellung geschaffen wird, zur Sukzession eines Prozesses erfordert Erfahrungen von bewußtseinstranszendenten Prozessen.“ (Voegelin, Anamnesis, S.55.).

[152] Vgl. Voegelin, Anamnesis, S.44/45. - Welche Paradoxe der Mengenlehere Voegelin meint, geht aus dem Text leider nicht hervor. Wahrscheinlich denkt Voegelin dabei an die Russelsche Antinomie, die als Variante des Lügnerparadoxons in der naiven, d.h nicht axiomatischen, Mengenlehre auftritt, wenn man z.B. versucht die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst als Element enthalten, zu bilden. (Vgl. auch die Kritik dieser Passage im folgenden Abschnitt.)

[153] Voegelin, Anamnesis, S.45.

[154] Voegelin, Anamnesis, S.45.

[155] Vgl. Voegelin, Anamnesis, S.46/47.

[156] Vgl. Husserl, Cartesianische Meditationen, S.91ff. (§42ff.).

[157] Vgl. Husserl, Cartesianische Meditationen, S.112-116 (§ 50/51).

[158] Voegelin, Anamnesis, S.47.

[159] Voegelin, Anamneis, S.47.

[160] Vgl. Voegelin, Anamnesis, S.47/48.

[161] Vgl. Voegelin, Anamnesis, S.48.

[162] Vgl. Voegelin, Anamnesis, S.48-50.

[163] Voegelin, Anamnesis, S.50.

[164] Voegelin, Anamnesis, S.51.

[165] Gerade aufgrund dieser Ungeeignetheit entstanden schließlich die Ausdruckskonflikte (Vgl. Voegelin, Anamnesis, S.44/45.), welche für die Prozeßtheologie nun auf einmal nicht mehr zählen. - Es hilft hier nichts anzunehmen, daß die Prozeßtheologie sich vielleicht nur auf die Untersuchung der Beziehungen zwischen den Seinsklassen Bewußtsein, immanentes Sein und transzendentes Sein beschränkt, und daß diese Beziehungen vielleicht im Gegensatz zu den Prozessen innerhalb des transzendenten Seins noch endlich sind, denn dann müßte wenigstens vom Ansatz her auch jede andere Metaphysik gleichermaßen zur Beschreibung dieser Zusammenhänge geeignet sein. Voegelin beabsichtigt aber gerade, die Prozeßtheologie als die einzig mögliche und gültige Metaphysik hinzustellen.

[166] Vgl. Voegelin, Anamnesis, S.50-54.

[167] Dieser Übergang ist übrigens durchaus typisch. In ähnlicher Weise ging auch Heidegger, ausgehend von Husserls phänomenologischer Bewußtseinsphilosophie, zur Ontologie über. Etwas vom Heideggerschen Pathos läßt sich bei Voegelin ebenfalls verspüren, wenn er vor dem möglichen Mißverständnis warnt, man sei wieder in den „friedlichen Gewässern der Erkenntnistheorie“ (Voegelin, Anamnesis, S.56.) angelangt.

[168] Zuvor scheint Voegelin jedoch gerade dies versucht zu haben. (Vgl. Voegelin, Anamnesis, S.44.)

[169] Voegelin, Anamnesis, S.55.

[170] Voegelin, Anamnesis, S.55.

[171] Voegelin, Anamnesis, S.55.

[172] Vgl. Voegelin, Anamnesis, S.44.

[173] Vgl. Voegelin, Anamnesis, S.55-57.

[174] Vgl. Voegelin, Order and History V, S.13f.

[175] Vgl. Voegelin, Anamnesis, S.57/58.

[176] Voegelin, Anamnesis, S.37.

[177] Voegelin, Anamnesis, S. 40. Außer seinen eigenen Assoziationen, für die sich in den zeitphilosophischen Texten, auf die Voegelin sich bezieht, durchaus einzelne Hinweise finden lassen, führt Voegelin noch einen eher aus dem Zusammenhang gegriffenen Gedanken von William James (Vgl. William James: Essays in Radical Empiricism, Cambridge, Massachusetts / London, England 1976, S.19.) und etwas später (Anamnesis, S.42) Bergsons Behandlung der eleatischen Paradoxe an, welche jedoch, wie es scheint auf einem Mißverständnis der physikalischen Begriffe von Ort und Bewegung zu beruhen scheint: Daß ein Körper sich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem ganz bestimmten Punkt im Raum befindet schließt nämlich nicht aus, daß er in diesem Punkt einen Bewegungszustand hat. (Vgl. Henri Bergson: Materie und Gedächnis, Hamburg 1991, S.184-190.)

[178] Vgl. Voegelin, Anamnesis, S.41-42.

[179] Vgl. Voegelin, Anamnesis, S.58-60.

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