Hauptvertreter des Föderalismusgedankens in Deutschland von der Neuzeit bis zum Ende des 19.Jahrhunderts

Eckhart Arnold

1 Einleitung
2 Föderalismusdiskussion in der frühen Neuzeit: Föderalismus oder Souveränitätslehre
3 Föderalismus und Machtkontrolle - Föderalistische Entwürfe der Aufklärungsepoche
    3.1 Die Argumente der „Federalist Papers“
    3.2 Supranationaler Föderalismus und Friedenssicherung - Die Utopie Kants
4 19.Jahrhundert: Föderalismuskonzepte im Spannnungsfeld von sozialer und nationaler Frage
5 Schlußbetrachtung
Literaturverzeichnis

3.2 Supranationaler Föderalismus und Friedenssicherung - Die Utopie Kants

Der Gedanke, daß die Bildung eines föderalen Staates militärische Aggressionen zwischen den Gliedstaaten verhindern kann, spielt in Immanuel Kants[18] 1795 erschienener Schrift „Zum ewigen Frieden“[19] eine zentrale Rolle. Kant sieht nämlich in der Bildung eines Weltstaatenbundes die einzige realistische Möglichkeit, um den Frieden zwischen den Staaten dauerhaft zu sichern.

Bei seiner Argumentation für den Weltstaatenbund muß Kant zwei (theoretische) Probleme bewältigen. Einmal scheint das Konzept eines Weltstaatenbundes der völkerrechtlichen Forderung nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der souveränen Einzeltaaten zu widersprechen. Mit welchem Recht könnte daher Bildung eines Weltstaates gefordert werden, wenn dies nur unter Einschränkung elementarer völkerrechtlicher Prinzipien möglich ist? Die zweite Schwierigkeit besteht darin zu zeigen, daß die Bildung eines Weltstaates überhaupt herbeiführbar ist, da nun einmal die bestehenden Staaten kaum freiwillig ihre Souveränität abgeben werden.

Das erste Problem ist moralischer Natur. Kant beantwortet es, indem er darauf besteht, daß die Freiheit der Staaten sich nicht auf das Recht zu zügellosem Gewaltgebrauch erstreckt. Zügelloser Gewaltgebrauch kann aber allein durch freiwillige Selbstkontrolle eines souveränen Staates nicht effektiv verhindert werden. Daher sind die Staaten moralisch verpflichtet, aus dem anarchischen Naturzustand, in welchem sie sich untereinander befinden, herauszutreten, was durch die Bildung eines Gesamtstaates geschehen könnte. Diese Verpflichtung der Staaten, einen dauerhaften Friedenszustand zu schaffen, ähnelt Kant zufolge der moralischen Vepflichtung einzelner Menschenen, die in einem Hobbeschen Naturzustand leben, durch die Bildung eines Staates einen Rechtszustand zu schaffen.[20]

Für das zweite Problem bietet sich als Königsweg der Föderalismus an. Ein Welteinheitsstaat würde zwar das Friedensproblem in idealer Weise lösen, aber ein solcher Staat ist unrealistisch und auch nicht unbedingt wünschenswert, da die Eigenständigkeit der Völker auch bei Kant durchaus einen hohen Wert darstellt. Ein Weltstaatenbund würde jedoch bei den einzelnen Staaten auf weniger Widerstand stoßen. Denkbar wäre, daß eine einzelne und sehr mächtige Republik dazu die Initiative ergreift, denn Republiken sind nach Kants Auffassung naturgemäß weniger angriffslustig[21] und würden daher eine Eigenständigkeit, die sich positiv in der Möglichkeit erschöpft, Kriege vom Zaun zu brechen, weniger hoch schätzen als etwa Monarchien. Diese Repulik könnte dann das Zentrum eines sich nach und nach ausbreitenden Weltstaatenbundes abgeben.[22]

Kant geht nicht näher auf die technischen Details eines solchen Weltföderalismus ein. Dies ist verständlich, denn eine wesenliche Vorausstzung für diese erhoffte Entwicklung bestand für Kant darin, daß sich die republikansiche - heute würde man sagen „demokratische“ - Staatsform druchsetzten müßte, was zu seiner Zeit in Europa und in der Welt nur für die wenigsten Staaten galt. Daher lag für Kant auch der „Weltstaatenbund“ noch in einiger Ferne. Wie ist die Kantsche Utopie eines „Weltstaatenbundes“ jedoch heute zu bewerten, nachdem die Demokratie sich inzwischen in einigen Teilen der Erde durchgesetzt hat?

Zwei Faktoren fallen unmittelbar auf, die Kants Annahmen zu widersprechen scheinen. Einmal hat sich gezeigt, daß auch Demokratieen sich sehr stark gegen die Aufgabe ihrer Souveränität sträuben. Dies erschwert die Bildung supranationaler Föderationen selbst bei ausschließlicher Beteiligung von Demokratien. Zum zweiten hat sich erwiesen, daß sich Demokratien zumindest gegenüber nicht-demokratischen Staaten oft nicht weniger aggressiv verhalten als autokratisch geführte Staaten[23] . Dies ist ein Faktor, der der Bildung eines Weltstaatenbundes entgegensteht, da ein solcher Bund unterschiedliche Staatssysteme umfassen müßte. Dennoch zeigen Prozesse, wie die Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika oder die Europäische Integration, die beide mit einer weitgehend erfolgreichen inneren Befriedung verbunden waren, daß Kants Grundidee der Friedensstiftung durch Bildung einer Föderation eine realistische Grundlage hat.

[18] Zur Biographie: Immanuel Kant (1724-1804) verbrachte fast sein ganzes Leben in Königsberg. Nachdem er 1781 sein philosophisches Hauptwerk Kritik der reinen Vernunft veröffentlicht hatte, verfasste er auch wieder verstärkt wissenschaftliche und politische Schriften. Unter seinen politischen Schriften sind außer der hier dargestellten Friedensschrift noch die Ideen zu einer Geschichte in Weltbürgerlicher Absicht (1784) und die Metaphysik der Sitten (1797) hervorzuheben.

[19] Immanuel Kant (Kant): Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Stuttgart 1991.

[20] Vgl. Kant (Kant), Zweiter Definitivartikel zum ewigen Frieden. Das Völkerrecht soll auf einem Föderalism freier Staaten gegründet sein, S.16-18.

[21] Vgl. Kant (Kant), Erster Definitivartikel zum ewigen Frieden. Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein, S.10-15.

[22] Vgl. Kant (Kant), S.19-21.

[23] Vgl. Ernst-Otto Czempiel (Czempiel): Kants Theorem. Oder: Warum sind Demokratien (noch immer) nicht friedlich, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 3.Jahrgang (1996), Heft 1, S.79-101. - Czempiels eigene Hypothese zur Erklärung dieses (empirisch ziemlich gesichert festgestellten) Phänomens läuft darauf hinaus, daß auch in den heutigen Demokratieen noch keine genügende Kongruenz zwischen denjenigen, die die Kreigslasten zu tragen haben, und denjenigen, die eine Kriegsentscheidung beeinflussen, besteht.

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