Die Bewußtseinsphilosophie Eric Voegelins (als Grundlage politischer Ordnung)

Eckhart Arnold

1 Einleitung
2 Die Grundzüge von Voegelins Philosophie
3 Voegelins Bewußtseinsphilosophie
4 Braucht Politik spirituelle Grundlagen?
5 Schlußwort: Was bleibt von Eric Voegelin?
    5.1 Zum Charakter von Voegelins Philosophie
    5.2 Zur Frage der Aktualität von Voegelins Ordnungsentwurf
    5.3 Das Vermächtnis Eric Voegelins
6 Literatur

5.2 Zur Frage der Aktualität von Voegelins Ordnungsentwurf

Die Frage der Aktualität von Voegelins Ordnungsentwurf bedarf keiner langen Erörterungen, da die Antwort hierauf eindeutig ausfällt, und sie sich auch in der wissenschaftlichen Voegelin-Debatte mehr und mehr durchzusetzen scheint.[396] Voegelins Vorstellung von politischer Ordnung ist in hohem Maße bedingt und beeinflußt durch das Zeitalter der Ideologien und des Totalitarismus, in welchem sie entstanden ist. Voegelin hatte den raschen Zusammenbruch einer fragilen Demokratie noch ebenso vor Augen, wie die unfaßbare Greuel des Nationalsozialismus und das geisterhafte Schweigen über die Verbrechen in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Nicht minder gegenwärtig waren ihm die Verbrechen der kommunistischen Regime und die Menschheitsbedrohung durch das atomare Wettrüsten. Unter solchen Bedingungen kann ein Gefühl von Sicherheit nur schwer aufkommen, und dies erklärt zum Teil Voegelins polemischen Eifer, welcher sich wohlmöglich einem Gefühl der Dringlichkeit verdankt, welches nach dem Ende des kalten Krieges nicht mehr unmittelbar verständlich wirkt. Die Zeitumstände erklären auch einiges von dem, was man die metaphysische Überhöhung des Politischen bei Voegelin nennen könnte. Aus heutiger Sicht mag es sehr befremdlich und unwissenschaftlich wirken, die metaphysische Kategorie des Bösen in die Politikwissenschaft einzuführen.[397] Aber um mit einer Erscheinung wie dem Nationalsozialismus fertigzuwerden erscheint dieser Versuch, wiewohl wissenschaftlich fragwürdig, doch nicht ganz unverständlich. Vor dem zeithistorischen Hintergrund ist es daher sehr wohl nachvollziehbar, daß Voegelin sich nicht auf die Frage beschränkte, welches die geeignetesten politischen Insititutionen für einen guten Staat sind, sondern dem Übel an die Wurzel gehen wollte und nach den metaphysischen Bedingungen wahrer politischer Ordnung fragte.

Indes leben wir heute mit einer liberalen politischen Ordnung, die seit fünfzig Jahren stabil ist, und die auch keine Risse aufzuweisen scheint, obwohl sich die Gesellschaft gegenüber den Fünfziger Jahren gewiß noch weiter säkularisiert hat, was Voegelins Grundthesen über die Ursachen politischer Unordnung doch sehr zweifelhaft erscheinen läßt. Dazu vermitteln Voegelins Äußerungen über politische Ordnung nicht selten den Eindruck, daß es Voegelin weit eher darauf ankam, eine wahre politische Ordnung (nach den Maßstäben seiner privatreligiösen Überzeugungen) zu finden, als eine im moralischen und pragmatischen Sinne gute politische Ordnung. Als recht gravierend fällt dabei ins Gewicht, daß Voegelin in seinem metaphysischen Eifer oft hart an der Grenze zum religiösen Fanatismus operiert. Seine Suche nach der wahren Ordnung beschwört dadurch die „entgegengesetzte Gefahr“ (John H. Herz[398] ) der religiösen und weltanschaulichen Intoleranz herauf. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist uns heutzutage bei der Suche nach guter politischer Ordnung mit etwas altmodischem Liberalismus weitaus besser gedient als mit Voegelins metaphysischen Rezepturen.

[396] Vgl. Eugene Webb: Review of Michael Franz, Eric Voegelin and the Politics of Spiritual Revolt: The Roots of Modern Ideology, in: Voegelin Research News, Volume III, No. 1, February 1997, auf: vax2.concordia.ca/~vorenews/v-rnIII2.html (Host: Eric Voegelin Institute, Lousiana State University. Zugriff am: 5.3.2000).

[397] Vgl. Voegelin, Eric: Die politischen Religionen, München 1996 (zuerst 1938).

[398] Vgl. John H. Herz: Politischer Realismus und politischer Idealismus. Eine Untersuchung von Theorie und Wirklichkeit, Meisenheim am Glan 1959. Mit der „entgegengestzten Gefahr“ bezeichnet Herz die besonders dem politischen Idealismus inhärente Gefahr bei der Bekämpfung politischer Mißstände durch das Mittel der Bekämpfung genau den entgegengesetzten Mißstand herbeizuführen. (Beispiel: Die Bekämpfung des kapitalistischen Ausbeutungssystems mündet in die kommunistische Diktatur.)

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