Die Bewußtseinsphilosophie Eric Voegelins (als Grundlage politischer Ordnung) |
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Die Philosophie Eric Voegelins halte ich, wie aus den bisherigen Ausführungen sicherlich hervorgegangen ist, nicht für sonderlich geglückt. Dabei halten nicht nur die Ergebnisse seiner Philosophie einer kritischen Prüfung nicht stand, auch die Art seines Philosophierens ist keinesfalls nachahmenswert. Voegelins Philosophie, und dies gilt sowohl für seine Geschichtsphilosophie als auch für seine Bewußtseinsphilosopihe, ist eine überaus dogmatische Philosophie, sie stellt außerdem eine hochgradig monologische Philosophie dar, und darüber hinaus erscheint sie über weite Strecken als das, was Karl Popper sehr treffend „orakelnde Philosophien“ genannt hat.[389]
Eine dogmatische Philosophie ist eine Philosphie, die ein Weltbild artikuliert, ohne es zu begründen. Während eine kritische Philosophie versucht, ihre Thesen rational zu begründen,[390] findet bei einer dogmatischen Philosophie gar keine oder nur eine tautologische Begründung statt, oder eine Begründung durch Voraussetzungen, die ihrerseits nicht weniger begründungsbedürftig sind als die begründeten Thesen. Damit ist nicht gesagt, daß dogmatische Philosophien notwendigerweise schlechte Philosophien sind, denn die Bildung und Ausgestaltung eines Weltbildes (oder auch nur einer Unternehmensphilosophie) ist weder eine triviale noch eine unbedeutende Aufgabe, aber dogmatische Philosophien können nur in begrenztem Maße Objektivität für sich in Anspruch nehmen. Und genau in diesem Sinne ist Voegelins Philosophie eine hochdogmatische Philosophie. Deutlich wird dies immer wieder an metaphysischen Voraussetzungen wie der Existenz eines transzendenten Seinsgrundes, der Ontologie der Seinsstufen, der Auffassung der Geschichte als eines theogonischen Prozesses usw. Voegelins Philosophie wird dadurch nicht uninteressanter, und die Darstellung seines Weltbildes ist ihm einigemale auch in einer ästhetisch und rhetorisch sehr ansprechenden Weise gelungen.[391] Aber Voegelins Philosophie ist eben auch nicht mehr als eine Philosophie. Sie ist nicht die Philosophie, und es steht jedem Menschen frei, sich zu ihr zu bekennen oder sie abzulehnen.
Als problematischer stellt sich der monologische Charakter von Voegelins Philosophie dar. Auch diese Eigenschaft hat Voegelins Philosophie mit der Philosophie anderer Denker gemeinsam. Der monologische Charakter findet sich bei Voegelin sowohl auf der Ebene des Philosophierens als auch auf der Ebene seiner philosophischen Doktrin. Auf der Ebene des Philosophierens äußert sich der monologische Charakter in Voegelins heftigen polemischen Ausfällen, in seiner Weigerung, mit jedem, der seine Grundüberzeugungen nicht teilt, auch nur ein Wort zu reden,[392] und in der fast paranoiden Vorstellung einer Ansteckungsgefahr, die von der vermeintlichen Krankheit deformierter Existenz ausgeht, welche er hinter den von ihm unerwünschten Philosophien allzeit vermutete. Wichtiger noch als diese etwas schrulligen Äußerungen eines leidenschaftlichen intellektuellen Temperamentes ist die Rolle des monologischen Prinzips innerhalb von Voegelins Doktrin. Philosophische Wahrheit wird für Voegelin immer von Einzelnen erfahren und dann sprachlich an andere weitervermittelt, was ein überaus schwieriger Prozeß ist, da die Erfahrung, die in gewisser Weise auch eine Verständnisvoraussetzung bildet, im Anderen durch die sprachliche Vermittlung erst angeregt werden muß.[393] Nach dieser Vorstellung von philosophischer Wahrheit ist es unmöglich, daß Wahrheit im philosophischen Dialog gefunden wird, denn die Erfahrung eines Menschen kann logischerweise nicht durch Argumente eines anderen Menschen korrigiert werden. Die typische Gesprächssituation, die Voegelins Philosophie zu Grunde liegt, ist daher nicht der Dialog unter Gleichgestellten, sondern stets das belehrende Gespräch, in welchem die Rollen von Lehrer und Schülern, von Führer und Gefolgsleuten, von Prophet und Jüngern klar verteilt sind. Problematisch erscheint am monologischen Charakter von Voegelins Philosophie, daß eine legitime Pluralität von Weltanschauungen dadurch theoretisch ebenso ausgeschlossen ist, wie die gegenseitige Befruchtung gegensätzlicher Standpunkte. Pluralismus war für Voegelin beinahe gleichbedeutend mit Verwirrung, und ein Philosoph, der die Wahrheit existentiell erfahren hat, kann sich durch andere Standpunkte höchstens noch beirren lassen.
Für den heikelsten Punkt halte ich allerdings die philosophische Geheimniskrämerei, zu der Voegelin nicht immer aber in seinen späteren Schriften immer häufiger neigt. Ein philosophischer Geheimniskrämer ist jemand, der das Rätsel und das Gefühl des Geheimnisvollen mehr liebt als die Lösung der Rätsel. Voegelin hat sich in mehrfacher Weise der philosophischen Geheimniskrämerei befleißigt. Dies beginnt mit Voegelins oft unklarer und vieldeutiger Ausdrucksweise, es geht fort über die nicht wenigen technischen Mängel seiner Philosophie, unter denen insbesondere die Schlußfehler der petitio principii und des non sequitur einen prominenten Platz einnehmen, und der Höhepunkt ist erreicht, wenn Voegelin sich auf Paradoxien und Mysterien beruft. Ich gebe zu, daß dies eine höchst subjektive Kritik ist, und wer in Hegel einen großen Philosophen sieht, der wird Voegelin wegen seiner Denkfehler gewiß nicht tadeln wollen. Aber mir scheint, daß ein Philosoph, der sich auf ein Mysterium beruft, mit demselben Mißtrauen betrachtet werden sollte, wie ein Politiker, der sich auf sein Ehrenwort beruft. Nicht daß von vornherein ausgeschlossen werden kann, daß es in der Welt Mysterien gibt. Aber bei einem Mysterium hat alles Denken ein Ende, und unter der Berufung auf Mysterien läßt sich jede beliebige Behauptung aufstellen. Deshalb sollte zuerst eine genaue Prüfung stattfinden, bevor die Annahme akzeptiert wird, daß ein Mysterium vorliegt. In dieser Hinsicht scheint mir Voegelin in der Tat sehr voreilig gewesen zu sein, wenn er etwa von einem Paradox des Bewußtseins spricht, obwohl die Tatsache, daß das Bewußtsein die Welt wahrnehmen kann, von der es selbst zugleich ein Teil ist, doch bestenfalls eine staunenswerte Besonderheit aber gewiß kein Paradoxon ist.[394] Ebensowenig kann ich mich zu der Ansicht durchringen, daß, wie Voegelin uns im letzten Band von „Order and History“ weismachen will, das Wort „Es“ in dem Satz „Es regnet“ auf eine geheimnisvolle „Es-Realität“ verweist, die die Partner im Seien, Gott, Welt, Mensch und Gesellschaft umgreift.[395] Vielleicht gibt es Menschen, die in solchen Philosophemen den tiefsten Ausdruck ihres ureigensten Welterlebens finden können. Für meinen Teil scheint mir jedoch, daß Voegelin hier alle guten Grundsätze des klaren Denkens in den Wind schlägt.
Was bleibt aber von Voegelins Philosophie, wenn sie tatsächlich so sehr von Irrtümern und Denkfehlern gespickt sein sollte? Eines kann auch die schärfste positivistische Kritik nicht verhindern; selbst wenn es ihr gelingt zu beweisen, daß eine Philosophie durch und durch logischer Unfug ist, so kann sie doch nicht verhindern, daß der Philosoph etwas damit gemeint hat. Voegelins Philosophie ist daher mindestens der Ausdruck einer Weltanschauung - einer reichen und tiefen Weltanschauung, wenn man sich an die besseren seiner Schriften hält. Mehr ist sie nicht.
[389] Vgl. Karl Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feine. Band II. Falsche Propheten: Hegel, Marx und die Folgen, 7.Aufl., Tübingen 1992, S.262ff.
[390] In Anlehnung an Kant wird unter einer kritischen Philosophie in der Regel eine erkenntniskritische Philosophie verstanden, aber diese Bedeutung ist etwas zu eng für eine praktikable Abgrenzung, zumal sie die Existenz einer verbindlichen Erkenntnistheorie als Appelationsinstanz voraussetzt.
[391] Dies gilt besonders für die Einleitungen von Order and History I und II. (Vgl. Voegelin, Order and History I, S.1ff. - Vgl. Voegelin, Order and History II, S.1-20.) - Fast noch schöner hat es Thomas Hollweck gesagt: Vgl. Thomas Hollweck: Truth and Relativity: On the Historical Emergence of Truth, in: Opitz, Peter J. / Sebba, Gregor (Hrsg.): The Philosophy of Order. Essays on History, Consciousness and Politics, Stuttgart 1981, S.125-136. - Für meinen Geschmack eher mißlungen und an eine schlechte Predigt erinnernd: Eric Voegelin: Ewiges Sein in der Zeit, in: Voegelin, Anamnesis, S.254-280.
[392] Vgl. Conversations with Eric Voegelin. (ed. R. Eric O'Connor), Montreal 1980, S.58ff.
[393] Vgl. auch William C. Haravard, Jr.: Notes on Voegelin's contributions to political theory, in: in: Ellis Sandoz (Hrsg.): Eric Voegelins Thought. A critical appraisal, Durham N.C. 1982, S.87-124 (S.112-113).
[394] Vgl. Voegelin, Order and History V, S.14-15.
[395] Vgl. Voegelin, Order and History V, S.16.