Die Bewußtseinsphilosophie Eric Voegelins (als Grundlage politischer Ordnung) |
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Ein entscheidendes Problem einer jeden politischen Ordnung, bei welchem der Rückgriff auf regligiöse Wahrheiten naheligend erscheinen könnte, ist das Problem der Legitimation der politischen Ordnung. Die Legitimation erfüllt eine zweifache Funktion. Zum einen soll sie die grundsätzliche Zustimmung der Herrschaftsunterworfenen zur Herrschaftsordnung sicherstellen. Zum anderen dient sie der Motivation von Einsatzbereitschaft für den eigenen Herrschaftsverband, was besonders im Kriegsfall von großer Bedeutung ist. Es stellt sich nun die Frage, ob eine Legitimation politischer Ordnung ohne welttranszendente Bezugspunkte möglich ist, und ob sie genügend Intensität erreicht, um die Stabilität des politischen Systems auch in Krisenzeiten zu gewährleisten.
Die heutzutage in der westlichen Welt übliche Form der Legitimation ist die einer Gesellschaftsvertragstheorie. Die Gesellschaftsvertragstheorie legitimiert dabei sowohl die Existenz eines Staates überhaupt als auch im besonderen die demokratische Herrschaftsform. Die Existenz des Staates wird dadurch legitimiert, daß ohne Staat der Einzelne vor Übergriffen von seinesgleichen auf sein Leben und Vermögen keinen Augenblick sicher ist, so daß die Menschen ohne Staat ohnehin nichts besseres tun könnten, als durch Vertrag einen Staat zu gründen, der sie voreinander beschützt. Die demokratische Herrschaftsform wird dadurch legitimiert, daß sie diejenige Herrschaftsform ist, zu der die Menschen in einem auf Basis freier Zustimmung geschlossenen Vertrag am ehesten ihre Zustimmung geben könnten, da sie ihnen nicht nur vor den Übergriffen der Mitbürger sondern auch vor dem Machtmißbrauch des Herrschers die größte Sicherheit bietet.[383]
Die Gesellschaftsvertragstheorien rechtfertigen die Existenz des Staates und die demokratische Herrschaftsform, indem sie sich rational einleuchtender Argumente bedienen. Der Sinn des Staates wird dabei hinreichend durch den Zweck der Schaffung innerer Sicherheit erklärt, ein Zweck der, so sollte man meinen, im Eigeninteresse eines jeden Menschen liegt. Eine zusätzliche Legtitimation, etwa durch göttliche Autorität, könnte innerhalb dieses Gedankenganges sogar problematisch erscheinen, denn, wenn es nicht schon genügend rationale Gründe gäbe, um die Existenz des Staates zu legitimieren, dann hätte der Staat ohnehin kein Existenzrecht, und alle weiteren Rechtfertigungen seiner Existenz müßten als Ideologie verworfen werden.
Eine Legitimation politischer Ordnung ohne welttranszendente Bezugspunkte scheint also grundsätzlich möglich zu sein, wenn man voraussetzt, daß die Menschen vernünftig genug sind, um ihre eigenen Interessen zu erkennen. Erweist sich diese Art der Legitimation aber auch als krisenfest, wenn die politische Ordnung vor besonderen Herausforderungen steht? Sind die liberalen Demokratien im Falle eines Krieges in der Lage, ohne die Mobilisierung religiöser Energien in genügendem Maße Opferbereitschaft für sich zu motivieren? Und handeln sie sich bei der Auseinandersetzung mit ideologischen Bewegungen im Inneren nicht einen entscheidenden Nachteil dadurch ein, daß sie die religiösen Gefühle der Bürger unangestastet lassen müssen (und wollen)?[384]
Gegen die erste dieser Befürchtungen kann eingewandt werden, daß auch in den liberalen Demokratien angesichts äußerer Herausforderungen gesellschaftliche Mechanismen wirksam werden, die die Abwehrbereitschaft der demokratischen Gesellschaft erheblich stärken. So macht sich im Falle eines Krieges oft eine Art von innerem Zusammenrücken der Gesellschaft bemerkbar, das sich beispielsweise in einer schlagartigen Zunahme der Beliebtheitswerte der jeweiligen Regierung äußern kann. Auch haben sich beispielsweise im Zweiten Weltkrieg die Soldaten, die auf Seiten der liberalen Demokratien kämpften, nicht weniger tapfer geschlagen als die Armeen der totalitären Regime, was beweist, daß im Ernstfall durch quasi-religiöse Sinnversprechungen keine wesentlichen Vorteile zu erzielen sind. Weit entfernt davon, eine Schwachstelle der liberalen Ordnung zu offenbaren, können äußere Herausforderungen diese Ordnung zeitweise sogar erheblich stärken.
Ebensowenig zwingend ist das Argument, daß ein rein rational legitimiertes System keine ausreichende Immunität gegen die verführerische Kraft chiliastischer politischer Bewegungen im Inneren entwickeln könnte. Zumindest ist nicht unmittelbar ersichtlich, wie eine spirituelle oder religiöse Legitimationskomponente hier Abhilfe schaffen könnte. Jede Form der Legitimation kann zusammenbrechen, wenn das politische System, das sie legitimiert, sich als erfolglos erweist oder wenn sie durch eine vom Geist der Zeit als überzeugender empfundene Legitimation herausgefordert wird. Dies würde auch für eine Legitimation auf Basis der existentiellen Spannung zum transzendenten Seinsgrund gelten, ganz gleich, welches Maß philosophischer Wahrheit diese Legitimation für sich beanspruchen dürfte. Dem heutigen Zeitgeist würde eine derartige Legitimation sicherlich recht unglaubwürdig erscheinen. Dies widerspricht zwar nicht ihrer philosophischen Richtigkeit, läßt es aber unangebracht erscheinen, sie in der Gegenwart als vorbeugende Arznei gegen Ideologien zu empfehlen. Darüber hinaus ließe sich die Überlegung anstellen, daß gerade spirituelle Legitimationskomponenten ein Einfallstor für Ideologien darstellen könnten, da durch sie dem Irrationalismus bereits öffentlicher Glaubwürdigkeitskredit eingeräumt wird.
Auch wenn das Problem der hinreichenden Legitimation politischer Ordnung mit großen Unsicherheiten behaftet ist (da sich nicht bloß die Frage stellt, wodurch eine politische Ordnung philosophisch gerechtfertigt ist, sondern vor allem, wann eine politische Ordnung als gerechtfertigt empfunden wird) scheint der Rückgriff auf religiöse, spirituelle oder existentielle Wahrheiten für die Legitimation politischer Ordnung nicht zwingend erforderlich zu sein.
[383] Ich beziehe mich hier in erster Linie auf die Hobbessche Gesellschaftsvertragstheorie unter Berücksichtigung der Lockeschen Kritik dieses Modells.
[384] Vgl. Joachim Fest: Die schwierige Freiheit. Über die offene Flanke der offenen Gesellschaft, Berlin 1993, S.38ff.