Religiöses Bewusstsein und Politische Ordnung. Eine Kritik von Eric Voegelins Bewusstseinsphilosophie

Eckhart Arnold

1 Vorwort zur Buchausgabe
2 Einleitung
3 Die Grundzüge von Voegelins Philosophie
4 Voegelins Bewusstseinsphilosophie („Anamnesis“ - Teil I)
5 „Was ist politische Realität?“ (Anamnesis - Teil III)
6 Ergebnis: Das Scheitern von Voegelins Bewusstseinsphilosophie
7 Die Schlüsselfrage: Braucht Politik spirituelle Grundlagen?
8 Was bleibt von Eric Voegelin?
    8.1 Zum Charakter von Voegelins Philosophie
    8.2 Zur Frage der Aktualität von Voegelins Ordnungsentwurf
    8.3 Was sollte dennoch bleiben?
9 Literatur

8.3 Was sollte dennoch bleiben?

Wenn Voegelins Philosophie nichts hergibt, und seine politische Ordnungsvorstellung nichts taugt, wäre es dann nicht besser, Eric Voegelin ganz zu vergessen? Zwei wichtige Gründe lassen es, trotz aller Kritik, wünschenswert erscheinen, Eric Voegelin dem drohenden Vergessen zu entreißen. Zum einen ist da Voegelins imposante Gelehrsamkeit. Voegelins Interpretationen der Klassiker des politischen Denkens fallen zwar häufig sehr eigenwillig aus - nicht zuletzt deshalb, weil sich Voegelin meist nur auf ganz bestimmte und scheinbar willkürlich ausgewählte Textpassagen bezieht. Aber Voegelins Auswahl vollzieht sich fast immer vor dem Hintergrund einer profunden Kenntnis des Gesamtwerkes. Wenn Voegelin daher auch die falsche Quelle ist, um sich über die Klassiker des politischen Denkens zu informieren, so dürften Kenner eines Denkers, den Voegelin behandelt hat, bei Voegelin oft einen ausgefallenen Kommentar auf hohem intellektuellen Niveau finden.

Zweitens gilt es die bedeutende kulturwissenschaftliche Horizonterweiterung festzuhalten, die die Politologie durch Eric Voegelin erfahren hat. Darin besteht, wenn man so will, das eigentliche Vermächtnis des Politikwissenschaftlers Voegelin und in dieser Hinsicht ist Voegelin gerade in der heutigen Zeit von großer Aktualität, denn der Umgang mit fremden Kulturen erfordert auch für die Politik und die politische Theorie nicht nur eine Kenntnis der Gesetze und Spielregeln von Diplomatie und Außenpolitik, sondern auch ein Verständnis dieser Kulturen selbst. Dabei ist allerdings zu hoffen, dass Voegelins Denken als Vorbild für ein einfühlendes Verständnis fremder Kulturen dient, und nicht im Fahrwasser von Samuel Huntingtons „Zusammenprall der Kulturen“ zur düsteren Prophetie unüberbrückbarer Gegensätze missbraucht wird.[435]

Von entscheidender Bedeutung für die Nachwirkung Eric Voegelins dürfte es jedoch sein, dass die Diskussion um Voegelins Werk mit der notwendigen kritischen Distanz geführt wird, was die bisherige Sekundärliteratur zu Eric Voegelin eher vermissen lässt. Der sicherste Weg, Eric Voegelin zu einem Nischendasein in den Zirkeln religiöser Sektierer zu verdammen, besteht darin, seine Ressentiments, besonders seinen an Don Quichotte gemahnenden Kampf gegen echte und vermeintliche Gnostiker in allen Formen und Farben, zu einem unverzichtbaren Wesensbestandteil seiner Wissenschaft zu erklären.[436] Gerade hier wäre es notwendig, eine kritische Sonderung vorzunehmen, was bei Voegelin Wissenschaft und was Vorurteil ist. Immerhin sind zu einer auch kritischen Auseinandersetzung mit Voegelin mittlerweile schon einige interessante Beiträge erschienen.[437] Ein weiterer wichtiger Punkt, der zur Entmystifikation Voegelins beitragen könnte, ist die Erforschung von Voegelins Biographie, insbesondere seiner frühen Jahre. Wie einige der inzwischen erschienenen Studien zu dieser Phase von Voegelins Biographie zeigen,[438] verlief Voegelins geistige Entwicklung in dieser Zeit viel spannungsgeladener als seine Autobiographie dies vermuten lässt, denn Voegelin war gerade in jungen Jahren von jenen irrationalistischen Strömungen der Geisteskultur der Zwanziger und Dreißiger Jahre nicht wenig beeinflusst, gegen deren politische Auswüchse er dann später wissenschaftlich zu Felde zog. Allerdings herrscht, was diesen Teil von Voegelins Biographie angeht sicherlich immer noch Diskussionsbedarf.

Schließlich könnte eine zukünftige Voegelin-Forschung auch davon profitieren, wenn sie sich von der, wie es scheint, insgesamt immer noch zu engen Fixierung auf die Deutung von Voegelins Werk selbst lösen und sich vermehrt den von Voegelin untersuchten Sachfragen zuwenden würde. Dazu gehört beispielsweise die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Politik oder auch die Frage möglicher kultureller Vorbedingungen des Gelingens demokratischer Ordnung. Dies wäre, sollte man meinen, ganz in Voegelins Sinne.

[435] Zur Aktualität Voegelins im Zusammenhang mit Huntingtons Theorie: Vgl. Michael Henkel: Eric Voegelin zur Einführung, Hamburg 1998, S. 167.

[436] Vgl. Maben W. Poirier: VOEGELIN- A Voice of the Cold War Era ...? A COMMENT on a Eugene Webb review, in: Voegelin Research News, Volume III, No.5, October 1997, auf: alcor.concordia.ca/~vorenews/v-rnIII5.html (Host: Eric Voegelin Institute, Lousiana State University. Zugriff am: 1.8.2007).

[437] z.B. Michael Henkel: Positivismuskritik und autoritärer Staat. Die Grundlagendebatte in der Weimarer Staatsrechtslehre und Eric Voegelins Weg zu einer neuen Wissenschaft der Politik (bis 1938), München 2005. - Sehr deutlich auch: Hans Kelsen: A New Science of Politics. Hans Kelsen's Reply to Eric Voegelin's „New Science of Politics“. A Contribution to the Critique of Ideology (Ed. by Eckhart Arnold), Heusenstamm 2004.

[438] Herausgegriffen seien hier nur: Michael Henkel, a.a.O. - Hans-Jörg Sigwart: Das Politische und die Wissenschaft. Intellektuell-biographische Studien zum Frühwerk Eric Voegelins, Würzburg 2005. - Claus Heimes: Antipositivistische Staatslehre. Eric Voegelin und Carl Schmitt zwischen Wissenschaft und Ideologie, München 2004. - Eckhart Arnold: Eric Voegelin als Schüler Hans Kelsens, erscheint voraussichtlich Wien 2007.

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