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Freie Assoziationen II

„Die Unmöglichkeit, aus der Vernunft ein grundsätzliches Argument gegen den Mord vorzubringen, nicht vertuscht, sondern in alle Welt geschrieen zu haben, hat den Haß entzündet, mit dem gerade die Progressiven Sade und Nietzsche heute noch verfolgen. Anders als der logische Positivismus nahmen beide die Wissenschaft beim Wort. Daß sie entschiedener noch als jener auf der Ratio beharren, hat den geheimen Sinn, die Utopie aus ihrer Hülle zu befreien, die wie im kantischen Vernunftbegriff in jeder großen Philosophie enthalten ist: die einer Menschheit, die, selbst nicht mehr entstellt, der Entstellung nicht länger bedarf. Indem die mitleidlosen Lehren die Identität von Herrschaft und Vernunft verkünden, sind sie barmherziger als jene der moralischen Lakaien des Bürgertums.“ (S. 127)

Kritik: Hier zeigt sich sehr deutlich die verquere Logik von Adornos und Horkheimers Denken: Im Widerspruch zu dem zuvor durchgängig präsenten Vorwurf, dass der Positivismus die Wissenschaft verabsolutiert, wird ihm nun plötzlich abgesprochen, die Wissenschaft beim Wort zu nehmen; und zwar nur, um den Positivismus dann für eine Konsequenz verantwortlich machen zu können („Identität von Herrschaft und Vernunft“), die gar nicht der Positivismus, sondern (mutmaßlich) Nietzsche und de Sade gezogen haben.


Notizen:

Hätten Adorno und Horkheimer in gutem Einklang mit ihrer vorhergehenden Darstellung zugestanden, dass der Positivismus die Wissenschaft beim Wort nimmt, dann hätten sie jetzt schlecht suggerieren können, dass die Identität von Vernunft und Herrschaft eine Konsequenz von Wissenschaft und Aufklärung ist, da davon beim Positivismus keine Rede ist.

Das Grundproblem besteht darin, dass Horkheimer sich nicht entscheiden können, ob der Positivismus oder Nietzsche/de Sade, die konsequente Fortsetzung der Aufklärung sind. Beides auf einmal passt nicht!

Nietzsche und de Sade passen schon deshalb schlecht in den Zusammenhang, weil sie ihre bizarren Moralvorstellungen nicht skeptisch (unter Ausnutzung des Letztbegründungsproblems) sondern aus jeweils unterschiedlichen perversen Lebensauffasungen heraus begründet haben.