Eine unvollendete Aufgabe: Die politische Philosophie von Kants Friedensschrift

Eckhart Arnold

1 Einleitung
2 Kants Friedensschrift als realistische Utopie
3 Die Kernelemente von Kants Friedenskonzept
    3.1 Die sittliche Pflicht zum Frieden
    3.2 Institutionelle Maßnahmen zur Friedenssicherung
    3.3 Historische Gesetzmäßigkeiten, die den Frieden fördern
4 Ist Kants Friedenskonzept noch gültig ?
5 Der „ewige Frieden“ als unvollendete Aufgabe
6 Literatur

3.3 Historische Gesetzmäßigkeiten, die den Frieden fördern

Die von Kant vorgeschlagenen institutionellen Maßnahmen zur Friedenssicherung stützen sich zum Teil unmittelbar auf bestimmte politische und historische Gesetzmäßigkeiten, die Kant als gegeben voraussetzt. Zu diesen Voraussetzungen zählt erstens die Annahme, dass Republiken grundsätzlich friedliebend sind, zweitens die Überzeugung, dass eine freie politische Öffentlichkeit eine disziplinierende Wirkung auf die Regierung ausübt, und drittens glaubte Kant an die pazifizierende Kraft von Handelsbeziehungen, indem sich durch ökonomische Verflechtungen zwischen den Staaten starke Eigeninteressen entwickeln, die möglichen kriegerischen Absichten entgegen stehen.

Der friedliebende Charakter von Republiken wird von Kant damit begründet, dass in einer Republik diejenigen, die über Krieg und Frieden entscheiden, auch diejenigen sind, die die Lasten des Krieges tragen müssen, so dass sie nicht leichtfertig in einen Krieg eintreten werden. Ob diese Annahme, die von der modernen Politikwissenschaft auch als das „Kantsche Theorem“ bezeichnet wird,[16] sich empirisch bestätigen lässt wird noch zu untersuchen sein.

Die Bedeutung der politischen Öffentlichkeit liegt für Kant in zweierlei: Zum einen ermöglicht die Rede- und Meinungsfreiheit die öffentliche Entwicklung von Friedenskonzepten, auf die ein Herrscher gegebenenfalls zurückgreifen kann. Vorausgesetzt wird dabei von Kant offenbar eine grundsätzliche Friedensneigung der politischen Intellektuellen (der „Philosophen“), wie sie von der Administration und dem Beraterstab des Herrschers nicht ohne weiteres zu erwarten ist. Ohne solche Friedenskonzepte, die sich eben vornehmlich in einer freien politischen Öffentlichkeit entwickeln werden, wäre ein Staat nur für den Krieg aber nicht für den Frieden geistig gerüstet,[17] da es an Vorstellungen darüber fehlt, wie der Frieden gefördert und auf welche Weise er erhalten werden kann.

Daneben kann der politischen Öffentlichkeit noch eine weitere Funktion zugesprochen werden, die im Zusammenhang mit Kants Publizitätsprinzip steht. Kants Publizitätsprinzip besagt: „Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind unrecht.“[18] Dieses Prinzip lässt sich zu der Überlegung ausbauen, dass in einem Staat, in dem die Regierung auf eine freie öffentliche Meinung Rücksicht nehmen muss, die politische Öffentlichkeit eine besonders in kriegspolitischer Hinsicht mäßigende und disziplinierende Wirkung auf das Regierungshandeln ausübt.[19]

Die dritte von Kant angenommene Gesetzmäßigkeit betrifft die friedensfördernde Wirkung des Welthandels. Kant glaubt, dass der Kriegsgeist mit dem Handelsgeist schlecht zusammen passt, unter anderem deshalb, weil die mit Krieg verbundene Störung des Handels dem wohlverstandenen Eigeninteresse handelführender und von Import und Export abhängiger Staaten widersprechen muss.

[16] Vgl. Ernst-Otto Czempiel: Kants Theorem und die zeitgenössische Theorie der internationalen Beziehungen, im Folgenden zitiert als: Czempiel, Kants Theorem, in: Matthias Lutz-Bachmann / James Bohmann (Hrsg.): Frieden durch Recht. Kants Friedensidee und das Problem einer neuen Weltordnung, Frankfurt am Main 1996, S.300-323 (S.300).

[17] Vgl. Kant, Friedensschrift, Anhang, II., S.368ff.

[18] Kant, Friedensschrift, Anhang, II., S.368.

[19] Vgl. Jürgen Habermas: Kants Idee des ewigen Friedens - aus dem historischen Abstand von zweihundert Jahren, im Folgenden zitiert als: Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens, in: Matthias Lutz-Bachmann / James Bohmann (Hrsg.), a.a.O., S.7-24 (S.15-17). - Die Kontrollfunktion der öffentlichen Meinung und ihre Rolle im politischen Willensbildungsprozess treten bei Kant natürlich noch nicht so deutlich hervor wie in der Fortführung des Gedankens bei Habermas. Bei Kant ist das Publizitätsprinzip in erster Linie ein Kriterium für die Moralität politischer Maximen. (Ich danke Karel Mom für den Hinweis auf diese Differenzierungen.)

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